Schlanke Frauen in Badeanzügen auf dem Laufsteg gibt es beim Wettbewerb «Miss Germany» nicht mehr. Männer, die das Aussehen der Kandidatinnen bewerten, sind Vergangenheit.
Seit diesem Jahr ist «Miss Germany» kein Schönheitswettbewerb mehr, wie Organisator Max Klemmer aus dem niedersächsischen Oldenburg sagt. «Wir versuchen, diejenige Botschafterin zu finden, die Vorbild und Identifikationsfigur für eine Vielzahl von Frauen sein kann», so der 25-Jährige, der die MGC-Miss Germany Corporation gemeinsam mit seinem Vater führt. Demnach steht bei dem Wettbewerb nun die Persönlichkeit der Frauen im Fokus. «Wir sind auf Vielfalt bedacht, auf innere Werte», sagt Klemmer, der eine Plattform für starke Frauen schaffen will. Schönheitswettbewerbe seien nicht mehr zeitgemäß.
Die Wahl der Online-Unternehmerin Leonie Charlotte von Hase zur «Miss Germany» im Februar war ein Wendepunkt. Erstmals bestand die Jury komplett aus Frauen, erstmals wurde eine 35-Jährige Gewinnerin, erstmals eine Mutter. «Ich bin keine Schönheitskönigin», sagt die Titelträgerin, die in Namibia geboren und aufgewachsen ist.
Das neue Konzept kommt bei vielen gut an. Für die Wahl im kommenden Jahr haben sich rund 15.000 Frauen beworben – so viele wie nie zuvor. Derzeit stellen sich die Top 32 auf der Homepage vor, einige geben tiefe Einblicke in ihr Leben. Brustkrebs, Vergewaltigung, Depression, Mobbing, künstlicher Darmausgang – offen berichten Frauen von Lebenskrisen und dem Wunsch, anderen damit Mut zu machen.
«Das ist eine spannende Entwicklung», sagt die Bundessprecherin der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, Simone Thomas, aus Freiburg im Breisgau. «Das Bild von Frauen ist bunt und unterschiedlich.» Wenn Frauen offen über Schicksalsschläge sprechen, könne das für andere hilfreich sein. «Wenn solche Frauen als Botschafterinnen präsentiert werden, finde ich das gut.» Den Wettbewerbsgedanken sieht die 54-Jährige kritisch. «Jetzt ist es nicht mehr die tollste Bikini-Figur, sondern die tollste Persönlichkeit.»
Die Kulturwissenschaftlerin Sylvia Pritsch vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Oldenburg sieht das Konzept zwiespältig. Wenn sich Frauen durch den Wettbewerb verwirklichen können, sei das die eine Seite. Die andere Seite sei, dass die Organisatoren mit den Frauen und Werbung Geld verdienen. «Alles hat einen bestimmten Preis und geschieht in einem bestimmten Kontext», so die 56-Jährige. «Es geht weniger um die Frauen als um Vermarktungsmöglichkeiten.»
Aus dem Kreis der Titelträgerinnen kommen positive Rückmeldungen zum neuen Konzept. «Der Wettbewerb geht mit der Zeit mit. Ich finde die Entwicklung toll», sagt die «Miss Germany» von 2017 Soraya Kohlmann aus Leipzig, die inzwischen Inhaberin eines Schönheitssalons ist. Dass Männer ihren Auftritt im Badeanzug bewerteten, habe sie nicht gestört, so die 22-Jährige. «Das war einfach Teil des Wettbewerbs.»
Anne Julia Hagen, die den Wettbewerb im Jahr 2010 gewann, hat das ähnlich empfunden. «Es ist ein System und man fügt sich in das System ein. Man möchte ja in dem System gewinnen.» Im Alter von 19 Jahren habe sie über die Konventionen von Miss-Wahlen nicht nachgedacht. Das neue Konzept finde sie super. «Das ist ein sehr großer Schritt», sagt Hagen, die in Florida lebt, als Model arbeitet und ihre Doktorarbeit in Kulturwissenschaft schreibt. Die Abgrenzung vom traditionellen Missen-Bild sei eine Weiterentwicklung.
Durch den Wandel könnten die Veranstalter zudem einen neuen Markt erschließen, sagt die 30-Jährige. Die Nachfrage nach klassischen Schönheitswettbewerben sei in Deutschland nicht mehr so groß. Ob der Name «Miss Germany» weiter passe, sei fraglich. Doch am Titel wollen die Veranstalter festhalten. Es sei möglich die Marke «Miss Germany» inhaltlich neu zu besetzen, zeigt sich Klemmer überzeugt. Auch wenn die Zeiten, in denen sprachlich zwischen unverheirateten Frauen («Miss», früher Fräulein) und verheirateten Frauen («Mrs.») unterschieden wurde, vorbei sind.
Für die Zukunft sehen sich die Veranstalter gut gerüstet. «Wir sind sicher, dass wir ein krisensicheres Konzept auf die Beine gestellt haben», sagt Klemmer und erklärt, dass mit der erweiterten Zielgruppe auch die Bandbreite an möglichen Partnern gewachsen ist. Während früher vor allem Firmen aus der Mode- und Beautybranche für Kooperationen in Frage kamen, seien nun auch Partner aus den Bereichen Finanzen, Wissenskultur und Nachhaltigkeit wünschenswert.
Den Umsatz von rund einer Million Euro pro Jahr will das Unternehmen, in dem vier Familienmitglieder und rund zehn Angestellte arbeiten, in den kommenden Jahren deutlich erhöhen. Nächstes Ziel sei, den Umsatz zu verdoppeln, so Klemmer. «Wir sind der Meinung, dass das über den neuen Weg möglich ist.» Ob Veranstalter anderer Schönheitswettbewerbe nachziehen, kann Klemmer nicht einschätzen. Aber: «Für die anderen kann ich nur hoffen, dass sie die Zeichen der Zeit erkennen.»