«Hallo, ich heiße Mika Mai, aber mit einem i. Nicht mit einem y», schrieb der Elfjährige an die Sängerin Corinna May in einer Mail, in der er für seine Idee warb. «Lass‘ uns telefonieren», kam als Antwort.
Musiker verstehen sich schnell. Kurz darauf sitzt Mika vor einem Keyboard auf einer Bühne in Corinna Mays Tonstudio bei Bremen. «Du bist der Chef. Ich singe nur», sagt Corinna May. «Een, twee, dre» wird plattdeutsch angezählt. «Take one» für «Mai&May» – ein jazziges Weihnachtspotpourri für Mikas Youtube-Adventskalender.
«Eine richtig gute Botschaft. Freude, Musik und auch Spaß – das brauchen wir gerade jetzt, denn durch Corona ist die Zeit schwierig» sagt Corinna May (50), die 2002 mit dem Lied «I Can’t Live Without Music» für Deutschland beim Eurovision Song Contest antrat. Sie und ihr Mann Claus Janz (Künstlername: «Claus mit C») zögerten keine Sekunde, als Mika ihnen am 15. November die Mail schrieb. Die Einladung in ihr Tonstudio «Engelslounge» nach Schwanewede bei Bremen folgte prompt. Und Mika machte sich mit seinem Eltern Minou und Max Mai aus dem hessischen Rockenberg auf den Weg gen Norden.
Seit Jahren kämpft Corinna May für Belange sehbehinderter Menschen und scheut dabei keine Gerichtsinstanz. Die Sehbehinderung teilt sie mit Mika, der Autist ist, das De-Morsier-Syndrom und eine chronische Sehnerv-Insuffizienz hat. Um den Wasserdruck in seinem Kopf zu regulieren, hat der Viertklässler zudem ein Ventil-Implantat im Kopf. In Friedberg besucht er eine Blindenschule. «Aber seit Februar ist er wegen der Corona-Pandemie im „Home-Office“», sagt Mutter Minou.
Viel Last für einen Elfjährigen, möchte man meinen. Aber von der ist so rein gar nichts zu spüren, wenn Mika mit seinem «Glückshut» als Markenzeichen auf der Bühne oder vor der Kamera steht und in die Tasten oder die Saiten greift. «Ich liebe Musik», sagt er einfach und erinnert damit auch irgendwie an den Eurovision-Titel von Corinna May («I Can’t Live Without Music»).
Die Bühne der «Engelslounge» glitzert, ist durch rotierende Spots an der Decke in rot-blaues Licht getaucht. Die Aufnahmen für Fensterchen Nummer 14 im Adventskalender laufen. Heiner, der Kameramann, filmt. «Een, twee, dre.» Nächster Take. Soviel sei verraten: Es wird ein «angejazzter» Mix aus den Songs «Let it snow!», «Jingle Bell Rock» und «Dreaming of a White Christmas».
Mikas Eltern wissen: Musik ist die Welt ihres Sohnes. Ihnen fiel sein besonderes Gehör früh auf. Mit vier Jahren habe Mika ICE- Modelle anhand ihrer unterschiedlichen Geräusche und Töne zuordnen können, erinnert sich Vater Max. Sie lasen damals von einem Professor in England, der blinde und musikalisch begabte Kinder förderte. So kamen sie zu Professor Adam Ockelford von der Roehampton Universität in London. Ein Glücksfall. «Er hat ihn verstanden. Mika ist aufgeblüht», sagt sein Vater.
Live-Auftritte findet der Elfjährige klasse. Er spielt spontan mit Bands, wann immer es sich anbietet, macht zudem Straßenmusik und wird gebucht, erzählt seine Mutter. Alles Geld, was er dabei einnimmt, wird in Instrumente investiert. Er hat schon eine ganze Menge. Wie viele? «Oh, das ist jetzt schwierig», sagt er, zählt an den Fingern. «Sieben Keyboards, vier Gitarren, nein, fünf mit einer Ukulele, Schlagzeug und zuhause haben wir auch einen Flügel.» Ohne Musik geht da nichts.
Die Eltern haderten anfangs durchaus, ob es richtig sei, ihren Sohn so zu exponieren. «Heute nicht mehr», erzählen sie. Nicht nur, dass es Mika extrem viel Freude mache. Er lerne auf diese Weise auch viele Musiker kennen und bekomme Kontakt zu Menschen mit gleichen Erfahrungen.
Corinna May, die nach der Zwangs-Corona-Pause bald selbst einen neuen Titel vorstellt, ist deshalb auch nicht die einzige Künstlerin, die Mika für einen gemeinsamen Youtube-Beitrag gewinnen konnte. Unter anderen haben sich auch die Sängerin Ev Machui («Irgendwo auf der Welt») und die Musikerin Linda Hadiko («All I Want for Christmas Is You») singend zugeschaltet. Mit etwas Fantasie, Schnitttechnik und Augenzwinkern begleitet Mika zudem den US-Raumfahrt-Entrepreneur und Tesla-Chef Elon Musk («Fly Me to the Moon»), der sich vor einigen Jahren mal pfeifend filmen ließ.
Auch Mika selbst singt im fünften Türchen gegen Corona an. Im musikalischen Adventskalender zudem ein absolutes Muss: der Auftritt von «Claus», der eigentlich elf Monate im Jahr bei Mais auf dem Dachboden wohnt. Nur im Dezember kommt er dann ins Wohnzimmer. «Und da freut er sich so sehr, dass er dazu singt und tanzt.» Zu sehen hinter Türchen Nummer sieben: Mika feat. Santa Claus, «Come on Baby, It’s Christmas Time!».