«Simpel gesagt: Wir konnten einfach nicht aufhören, Songs zu schreiben», erklärte Taylor Swift ihren 141 Millionen Fans auf Instagram.
Nur wenige Stunden nach dieser Ankündigung hat die US-Amerikanerin am Freitag, wieder völlig überraschend, mit «Evermore» ihr zweites Studioalbum im Corona-Jahr 2020 – und ihr insgesamt neuntes – veröffentlicht.
Es ist eine Fortsetzung der gefeierten Folk-Platte «Folklore», die erst vor fünf Monaten erschien – trotz der kurzen Zeitspanne wieder ein herausragendes Werk mit einer ganzen Reihe eingängiger Songwriter-Stücke. Diesmal war nicht nur Sänger Matt Berninger beteiligt, sondern teilweise gleich die gesamte vielgerühmte US-Indierock-Band The National. Außerdem gibt es wieder ein Duett mit dem Elektro-Folk-Musiker Bon Iver und weitere Gastauftritte.
«Evermore» macht erneut deutlich, welch gute Songwriterin Swift ist – in zweifacher Hinsicht. Da ist zum einen dieser scheinbar unerschöpfliche Vorrat an gefälligen, aber nicht abgenutzten Melodien: einfach genug, um von Millionen Fans mitgesungen zu werden, aber auch so clever, dass man sich nicht an ihnen satthört. Zum anderen hat Swift auch in erzähltechnischer Sicht großes Talent.
Ihre Texte weben in vielen Details weitreichende Geschichten, sie greifen dabei manchmal Motive auf, die sie schon in Vorgängeralben verwendet hatte. Dabei findet sie Sprachbilder, die manchmal gar lyrischen Charakter haben: «Eyes like sinking ships on waters» (auf Deutsch sinngemäß: «Augen wie sinkende Schiffe auf den Gewässern»), heißt es etwa in «Gold Rush».
Hatte sie früher oft damit gespielt, sich in den Texten vermeintlich aus ihrer eigenen Vergangenheit zu bedienen, so setzt sie jetzt stärker darauf, fiktive Geschichten von einer Außenperspektive zu erzählen. «My mind turns your life into folklore», singt sie ebenfalls in «Gold Rush» («Meine Gedanken verwandeln dein Leben in Folklore»). Tatsächlich ist Swift hier ganz der Folk-Tradition verhaftet: Sie verwandelt das Leben in Geschichten, die mit ihrer Musik weitergetragen werden.
«Gold Rush» ist, wie fast alle Lieder des Albums, mit zurückhaltenden Streichern unterlegt. Doch während die meisten Songs von einer gezupften Akustikgitarre und melancholischen Klaviermelodien begleitet werden, findet sich hier ein unterschwelliger Beat. Er zeigt: Diese Lieder würden – anders instrumentiert – auch als Dance-Hits funktionieren.
Daran hat Swift aber kein Interesse. Stattdessen hören wir neben Gitarre und Piano die eine oder andere Mandoline und manchmal warme Synthesizer. Oder die Lap-Steel-Gitarre im Country-Popsong «No Body, No Crime», den Swift mit Mitgliedern der Indie-Frauenband Haim aufgenommen hat – eine klassische Rachegeschichte.
Kürzlich hatte Swift angekündigt, nach Streitereien um die Rechte für ihre früheren Alben diese ältere Musik neu aufzunehmen – um so die Lieder indirekt zurückzugewinnen. Die Sängerin hatte zwischen 2006 und 2017 ihre ersten sechs Studioalben bei Big Machine herausgebracht, bevor sie zu Universal Music wechselte.
Wenn Swift so weitermacht, wird ihr Frühwerk aber bald nur noch ein kleines Kapitel in dieser rasant wachsenden, beeindruckenden Diskographie sein.