Was haben Julian Schnabel (69) und die römische Antike miteinander zu tun? Auf den ersten Blick erst einmal nichts, aber wenn man in den 90er Jahren das Maison Carrée im südfranzösischen Nîmes betrat, traf einem in diesem 2000 Jahre alten Tempel ganz unerwartet die erhabene Wucht dreier riesiger Gemälde des Malers.
Eine Kunst der Überwältigung: Dieser Mann malt groß, dieser Mann denkt groß, dieser Mann lebt groß. Gigantismus. Inspirieren ließ sich Julian Schnabel dabei von dem Gebäude selbst: «Ich ging dorthin. Ich schaute mit die Wände an. Ich malte die Bilder», sagte er einmal der Kultur-Zeitschrift «The Miami Rail».
Wer ist also ist dieser extravagante Großmeister, der als Maler und Bildhauer ebenso viel Erfolg wie als Filmemacher hat. Der in einer exzentrischen und Palazzo-artigen Residenz in New York lebt und auch schon mal gerne im Pyjama durch die Häuserschluchten streift.
Im Taschen Verlag ist jetzt in einer limitierten Sammler-Edition das voluminöse Gesamtwerk von Julian Schnabel erschienen – der Künstler hat daran viele Jahre selbst mitgearbeitet.
Er ist ein neugieriger Künstler, ein besonders «hungriger Künstler», schreibt Éric de Chassey in einem begleitendem Essay, in dem der Künstler zwischen, Figuration, Abstraktion, Post-Moderne und Neo-Expressionismus künstlerisch verortet wird – auch wenn immer ein Hauch der Unwägbarkeit mitschwingt.
Er mache sich alle Medien zunutze, schreibt de Chassey: Leinwand, Baumwolle, Stoff, Planen, Pinsel, Stock, Spraydose, Schlauch – für Julian Schnabel scheint es keine Grenzen zu geben, alles ist ihm Inspiration, alles ist ihm Material. Dabei trägt er die Geschichte der Kunst in sich, die immer wieder in seinen Arbeiten aufglimmt. Dazu gehört auch die Maltechnik der Römer – und so schließt sich ein Kreis zur Maison Carrée. Tradition und Moderne, Vergangenheit und Gegenwart.
«Alles kann Vorlage für ein Gemälde sein – eine Pappel, ein anderes Gemälde, ein Schmutzfleck», sagt Julian Schnabel. Das ist die Philosophie seiner Kunst, die er noch einmal besonders deutlich in seinem Film «Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit» zum Ausdruck bringt. Dabei geht es in dem spröden Werk zwar auch um Van Gogh (gespielt von Willem Dafoe), vor allem aber geht es dabei auch um Julian Schnabel selbst.
Er war ein junger Wilder, der in den 70er Jahren in New York seine Karriere begann. Berühmt wurde Julian Schnabel vor allem durch seine Teller-Bilder, in denen sich Malerei und Keramik auf schillernde Weise begegneten, die plane Oberfläche der Leinwand durch Spiegelungen immer wieder gestört, verändert und in ein Spannungsverhältnis gesetzt wurde. Eine vibrierende Malerei, die ein ganz eigene Lebendigkeit besitzt.
Den Menschen Julian Schnabel bringt uns vor allem auch Laurie Anderson in einem einfühlsamen Essay näher. Die Multimedia-Künstlerin lebte mit ihrem Mann, Rock-Ikone Lou Reed, im New Yorker West Village gegenüber von Julian Schnabel, der dabei half, die Wohnräume der beiden in Träume zu verwandeln. Roter Samt wurde über zwei Stockwerke gegossen, ein Mast wurde zum Treppengeländer und «das Wohnzimmer zu einem Shakespear’schen Innenhof.»
«Wenn ich an Julian denke, denke ich an Liebe und an die Passion, mit der er alles macht – surfen, kochen, malen, Filme drehen, schreiben, Vater sein, Sohn, Ehemann, Freund», schreibt Laurie Anderson.
TASCHEN, Julian Schnabel, Hans Werner Holzwarth und Louise Kugelberg Mit Texten von Laurie Anderson, Eric de Chassey, Bonnie Clearwater, Donatien Grau, Max Hollein, Daniel Kehlmann, Hardcover in einer Schlagkassette, 33 x 44 cm, 570 Seiten, Collector’s Edition limitiert auf 1.000 nummerierte und von Julian Schnabel signierte Exemplare 750 Euro, Ebenfalls erhältlich in zwei verschiedenen Art Editions