Die Pest tobte im Land, als die Oberammergauer ihr Gelübde leisteten: Alle zehn Jahre wollten sie die Passion aufführen, wenn niemand mehr stirbt. Fast 400 Jahre später scheiterte die Aufführung an der Corona-Pandemie: Kurz vor der Premiere im Mai vergangenen Jahres kam die Absage.
Spielleiter Christian Stückl verschob das Laienspiel vorsorglich gleich um zwei Jahre, auf 2022. Nun rollen die Vorbereitungen langsam wieder an. Der Kartenvorverkauf läuft seit Oktober. Die Hälfte der Ticketbesitzer hatte von 2020 auf 2022 umgebucht, insgesamt sind schon jetzt rund 60 Prozent der Karten weg.
Vom 14. Mai bis 2. Oktober 2022 soll das berühmte Laienspiel vom Leben, Sterben und von der Auferstehung Jesu auf die Bühne kommen. Zu rund 100 Vorstellungen werden 450 000 Gäste aus aller Welt erwartet.
Stückl, der die Passion zum vierten Mal inszeniert, wird nicht völlig neu beginnen. «Jeder, der das will, behält seine Rolle. Ich schätze, dass 95 Prozent der Leute die Rolle auch übernehmen», sagt er kurz nach der Absage im März 2020.
Der nächste Meilenstein für den Neustart: Der Haar- und Barterlass am Aschermittwoch. Dann dürfen sich die Mitspieler der Tradition folgend Haare und Bart nicht mehr schneiden lassen. Vor einem Jahr sah man auf den Straßen des Ortes schon dichte Bärte und wallende Mähnen. Doch nach der Absage der Passion hatten die meisten zu Rasiermesser und Schere gegriffen. Mancher fängt trotzdem nicht bei ganz kurz an – sondern hat angesichts des Lockdowns schon eine «Corona-Frisur».
Fast 2500 Oberammergauer – etwa die Hälfte aller Einwohner – wollen mitwirken. Jeder, der in Oberammergau geboren und aufgewachsen ist oder seit 20 Jahren dort lebt, hat ein Spielrecht. Der Spielleiter muss sehen, wie er alle unterbringt.
Hunderte Einwohner, mal als Volk Israel in alttestamentarischen Szenen, mal als Einwohner Jerusalems, bilden eine machtvolle Größe auf der 40 Meter breiten Bühne. Derzeit kaum denkbar: «Eine Massenszene mit knapp 1000 Mitwirkenden auf der Bühne kann man sich Stand heute nicht vorstellen, aber vielleicht sieht die Welt in zwölf Monaten ja wieder anders aus», sagt Frederik Mayet, der zum zweiten Mal den Jesus geben wird und zudem Sprecher der Passionsspiele Laienspiele ist. Trotzdem: «Ich bin sehr optimistisch, dass wir in 2022 wieder zu einer weitgehenden Normalität zurückgekehrt sind.»
Die Auszeit hat Abstand gebracht. «Zurzeit denke ich nicht viel an die Passion, nur wenn meine 81-jährige Mutter mal wieder die Passionsmusik einlegt und begeistert mitsingt», sagt Andrea Hecht, die im nächsten Jahr die Maria geben wird.
Mehrfach in der fast 400-jährigen Geschichte wurde das Spiel verschoben, just vor hundert Jahren, auch damals um zwei Jahre: Wegen der Folgen des Ersten Weltkriegs wurde statt 1920 erst 1922 gespielt.
«Nach zwei Jahren muss man wieder von vorne anfangen zu Proben. Wir müssen in Oktober 2021 nochmal die ganze Maschinerie hochfahren», sagt Spielleiter Stückl. Dann sollen die Arbeit in den Werkstätten und die Chor-Proben neu beginnen. Ab Januar 2022 will Stückl die Darsteller zu Proben auf die Passionsbühne holen.
Diese werden dann kräftig pauken müssen. «Ich glaube ich habe auch 90 Prozent der schon gelernten Texte nicht mehr parat», sagt Mayet. «Wir werden probentechnisch gesehen nicht da anfangen, wo wir aufgehört haben, sondern wieder von vorn beginnen», meint der zweite Jesus Rochus Rückel; jede Rolle ist doppelt besetzt. «Zwei weitere Jahre machen etwas mit einem, man verändert sich in der Zeit.» Dies führe dazu, dass die Passion 2022 in vielerlei Hinsicht anders sein werde, sagt Rückel. Er schaue «voller Zuversicht und Vorfreude» auf 2022.
«Die Motivation, das Begonnene endlich zu vollenden und auf die Bühne zu bringen, ist – so glaube ich – bei allen riesengroß», sagt die zweite Maria, Eva-Maria Reiser. «Die Verschiebung der Passionsspiele und Corona haben alle meine beruflichen und privaten Pläne völlig durcheinandergebracht.» Monatelange Vorbereitungen, Proben – und dann bei 50 Vorstellungen mindestens fünf Stunden auf der Bühne, denn so lange dauert eine Vorstellung: Das verlangt den Spielern Einiges ab.
Wie und ob sich die Corona-Krise im Text niederschlägt? «Es ist eine ganz eigenartige Situation, und wo sie hinführt, ist offen», sagt Stückl, der am Text stets allein arbeitet, begleitet von einem kirchlichen Berater. Die Arbeit ende immer erst kurz vor der Premiere, sagt er. «Der Text ist nicht ein feststehendes Konstrukt.»
Stückl hat in drei Jahrzehnten als Spielleiter viel verändert. Auch verheiratete Frauen dürfen heute die Maria spielen, bis 1990 ein Tabu. Gleich in Stückls erster Passion bekam ein Protestant eine Hauptrolle, und auch zuletzt setzte er mit seiner Spielerwahl ein Zeichen: Erstmals haben zwei Oberammergauer muslimischen Glaubens Hauptrollen.
Die Absage im März war Stückl sichtlich schwer gefallen. Trotzdem hat er mehrfach betont: Das sei nicht das große Drama. Die wirklichen Dramen spielten sich etwa ab in Flüchtlingslagern, auf die in der Corona-Krise kaum noch geachtet werde.