Für Bernd Stelter (59) ist der Corona-Karneval eine Herausforderung – beruflich und auch beziehungsmäßig.
«Ich bin seit über 30 Jahren sehr glücklich verheiratet», versichert der Fernsehmoderator und Karnevalist der Deutschen Presse-Agentur. Nur: «Die Basis unserer glücklichen Ehe war natürlich auch, dass ich zwischendurch unterwegs bin. Jetzt aber hängen wir uns seit einem Dreivierteljahr auf der Pelle.» Alle Auftritte sind abgesagt.
Die Karnevalssaison 2020/21 ist im Wesentlichen nicht existent. «Wir können ja nicht Halligalli machen, während der Rest der Republik in Demut verharrt und sich in häuslicher Bescheidenheit übt», bringt es der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly auf den Punkt.
In normalen Jahren kann man dem organisierten Frohsinn in Hochburgen wie Köln auch als Anti-Karnevalist nicht entgehen. Es kann zum Beispiel sein, dass man plötzlich merkt, dass die Mathelehrerin der Tochter neben einem an der Ampel steht, aber verkleidet als Gurke. Oder man sieht sich früh morgens beim Brötchenholen von einem Regiment Husaren mit weißen Perücken aus der Zeit von Madame Pompadour umzingelt. Und das wohlgemerkt nicht nur an den tollen Tagen von Weiberfastnacht bis Veilchendienstag, sondern schon viele Wochen vorher.
Letztes Jahr ist der Karneval dem Lockdown noch knapp entgangen. Es spielten sich Szenen ab, die zwei Wochen später unvorstellbar gewesen wären. Der Leiter des Kölner Rosenmontagszugs, Holger Kirsch, erklärte damals, er sehe keinen Grund dafür, warum man an den Karnevalstagen nicht «bützen» (küssen) könne «bis der Arzt kommt». Die Kappensitzung von Gangelt erlangte bundesweite Bekanntheit, weil sie den kleinen Ort an der niederländischen Grenze zu einem der ersten deutschen Corona-Hotspots machte. Bis heute ist sie das bevorzugte Studienobjekt des Virologen Hendrik Streeck.
Dieses Jahr sehen die Masken etwas anders aus als letztes Mal, das Motto heißt jetzt: Mundschutz statt Clownsnase. In der Vorbereitung auf die neue Saison – oder Session, wie der Karnevalist sagt – haben sich die Vereine einsichtig und diszipliniert gezeigt. Das ist auch nicht verwunderlich, denn der organisierte Karneval ist ein Verbandskarneval. Er hat sich deutschlandweit nach dem Vorbild des 1823 gegründeten Festkomitees Kölner Karneval entwickelt, und dieses Gremium steinreicher Großbürger diente seinerzeit keinem anderen Zweck, als das bis dahin wilde Fastnachtstreiben der unteren Klassen in geregelte Bahnen zu lenken und zu entschärfen.
Im Sommer haben die Vereine monatelang Pläne für einen coronakonformen Karneval geschmiedet, um diese dann im Angesicht der zweiten Welle zu begraben. Sitzungen, Empfänge, Gala-Abende und Umzüge – all das ist nicht möglich. Die Stadt Köln hat die tollen Tage für ihre Beschäftigten zu regulären Arbeitstagen erklärt.
Die coronabedingte Absage der Karnevalsfeierlichkeiten kostet die Schunkelmetropole Köln einer Studie zufolge knapp 600 Millionen Euro. Von dem üblichen Umsatz pro Session – also im Zeitraum 11.11. bis Aschermittwoch – blieben dieses Mal wohl nur etwa 9 Millionen Euro, heißt es in einer Analyse der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Das entspricht einem Einbruch um mehr als 98 Prozent.
Das Festkomitee Kölner Karneval vertritt allerdings die Ansicht, dass man den Karneval genauso wenig aus dem Kalender streichen kann wie Weihnachten. Und so läuft im Hintergrund doch das ein oder andere: Der Kölner Rosenmontagszug etwa wird im Miniaturformat des Stockpuppentheaters Hänneschen nachgebaut. Die Idee mag sich nicht jedem unmittelbar erschließen – es ist ein bisschen so, als würde die Augsburger Puppenkiste das Oktoberfest nachspielen. Aber zumindest kann man auf diese Weise doch noch die üblichen Motivwagen präsentieren.
In Köln und Bonn gibt es Autokonzerte bekannter Karnevalsbands, in Monheim am Rhein werden so auch Sitzungen abgehalten, unter anderem ein «Altweiber-Drive-in». Dabei sind auch die Autos kostümiert, zum Beispiel mit Ballons, Lichterketten und Luftschlangen. Im übrigen hat sich vieles ins Internet verlagert. Unter jeckstream.de kann man zum Beispiel gegen Bezahlung Sitzungen verfolgen. Ein wirklicher Ersatz ist das alles aber nicht: Schließlich könnte man Karneval als das genaue Gegenteil von Distanzhalten definieren.
Gleichwohl sei es wichtig, den Karneval auch in der gegenwärtigen Krisenzeit für die Menschen spürbar zu machen, sagt Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn. Für ihn ergeben sich Parallelen zu den ersten Jahren nach dem Krieg: «Die Botschaft war, dass das Leben irgendwie weitergeht. Und auch jetzt ist der Karneval eine wichtige Konstante.»
Immerhin: Die bekannteste Fernsehsitzung «Mainz bleibt Mainz» soll am Freitag vor Rosenmontag (12.2.) wie gewohnt gezeigt werden, allerdings nicht live, sondern als Aufzeichnung und ohne Saalpublikum. Und mit noch einem Unterschied: Als Zugeständnis an den Ernst der Lage fällt der Zusatz «wie es singt und lacht» weg.