Wie es ist, wenn die Welt ins Wanken gerät, haben in der Corona-Zeit viele Menschen erfahren müssen. Dieser Schwindel soll Ausdruck im neuen Album der Indieband The Notwist finden, wie Sänger Markus Acher kürzlich dem «Tagesspiegel» sagte. «Aber auch, dass man gehalten wird.»
«Vertigo Days», das ganze sieben Jahre nach seinem Vorgänger erscheint, taumelt dann auch durch verschiedene Stimmungen, Stile und Sounds, klingt aber zugleich vertraut und knüpft nahtlos an die musikalischen Traditionen der Band aus Bayern an.
Da werden wieder alle Noise-Register gezogen, Gleise und Telefone besungen – bis sich die Soundcollagen in Wohlgefallen auflösen und Platz für melodiöse Indiepopsongs machen. Dieses Wechselspiel, diese stetige Suche nach Harmonie in einer chaotischen Klangwelt ist es, was The Notwists Musik ausmacht.
So beginnt etwa der Opener «Al Norte» recht düster, monotone Drums vermischen sich mit dem Klang einer zerkratzten Schallplatte und verzerrt-schrillen Gesangsfetzen, bis er nach exakt einer Minute in das sanfte «Into Love/Stars» übergeht. Nachdem man dabei eine Zeitlang Achers weichen Gesang, begleitet nur von einer paar Klavier- und Synthietönen, gelauscht hat, nimmt der Song Fahrt auf und der Klangteppich verdichtet sich wieder.
Während es innerhalb des Liedes somit einen Bruch gibt, sind die Übergänge zwischen den einzelnen Songs meist fließend. Das Album, auf dem auch viele internationale Gastmusiker mitgewirkt haben, will ein Gesamtkunstwerk, keine Aneinanderreihung verschiedener Lieder sein.
Besonders hervor sticht dabei dennoch das Lied «Sans Soleil», das ganz in der Tradition früherer Hits wie «Consequence» oder «One With The Freaks» ein bisschen Ambiente und noch mehr Pop verströmt. Da verstummen alle Störgeräusche und Achers leicht nasale Stimme kann wohlig in den Vordergrund treten.
Die Songs haben allesamt etwas Meditatives, bei «Into The Ice Age» etwa kann man sich ohne Schwierigkeiten in die Einsamkeit des ewigen Eises träumen. Vor allem wenn der erste, leichtfüßige Part durch düstere Klänge und den melancholischen, leicht hallenden Gesang abgelöst wird. Wenn das Lied am Ende regelrecht in Dringlichkeit umschlägt, kann man geradezu Warnungen vor dem Klimawandel heraushören, über den Acher auch in knappen Zeilen singt.
Der Folgesong «Oh Sweet Fire» wiederum thematisiert die «Black Lives Matter»-Proteste, Gastsänger Ben LaMar Gay aus den USA beklagt hier, dass ein echtes Gleichgewicht überfällig sei. «Vertigo Days» nähert sich politischen Themen an, wird aber kaum konkret und lässt bewusst Raum für Deutungen.
Das Album geht so aber weit über die Corona-Thematik hinaus. «Ich hoffe die Stücke haben auch später eine Gültigkeit», betont Acher. Für eine Platte über Schwindelgefühle ist das Album in der inzwischen gut 30-jährigen Bandgeschichte jedenfalls doch ein ziemlich solides geworden.