Er trägt Hosenträger und Schiebermütze und liebt deutsche Schlager aus seiner Musiktruhe «Saba Schwarzwald 100»: Der Dattelner Kevin Nikodem (28) lebt nach Feierabend in einem Zeittunnel in die Wirtschaftswunderzeit.
Er hat sein kleines Zechenhäuschen in einer einstigen Bergmannssiedlung im Ruhrgebiet konsequent im Stil der 1950er-Jahre umgebaut – mit Einrichtungsgegenständen vom Wohnzimmerschrank bis zum Opa-Bett, Original-Elektrogeräten und einem 50er-Jahre-Bad mit alter Klo-Armatur und gusseiserner Badewanne.
Das Ganze ist für den 28-Jährigen mehr als ein Freizeit-Spleen. Er fühlt sich verbunden mit dem Leben von früher. «Früher gabs hier im Viertel jedes Jahr ein großes Nachbarschaftsfest, abends standen die Leute am Zaun und haben miteinander geredet. Das ist heute komplett weg», sagt er. «Ich sehne mich nach dem Zusammenhalt, nach der Harmonie, auch nach der Bescheidenheit der Zeit.»
Nikodem ist im Viertel aufgewachsen. Die Eltern wohnen eine Straße weiter, er war als Kind sehr viel bei Oma Lydia, direkt neben seinem heutigen 87-Quadratmeter-Zechenhäuschen. Dort hat die Oma Freddy-Quinn-Platten für ihn aufgelegt, erzählt er. Als die Musiktruhe kaputt ging, hat er sie – schon als Junge technisch begabt – auseinandergebaut und repariert. Das sprach sich rum. Nachbarn brachten alte Geräte, zur Reparatur oder als Geschenk. Nikodem begann mit dem Sammeln.
Heute hat der gelernte Elektroniker und Ausbilder in einem Chemieunternehmen zahlreiche Musiktruhen und rund 40 000 Schallplatten aus der Nachkriegszeit. Seitdem im Fernsehen über seine Sammelleidenschaft berichtet wurde, rufen immer mehr Menschen aus ganz Deutschland an und bieten ihm alte Möbel, Schallplatten und Geräte an.
Die 50er-Jahre-typische Renovierung seines Zechenhäuschens ist sein großes Projekt – auch wenn es immer wieder Schwierigkeiten mit modernen Bauvorschriften etwa beim Briefkastenschlitz für die Haustür oder beim Dach gab, erzählt er. Steckdosen im Stil der 1950er-Jahre produziert noch ein Spezialhersteller, alte Türen hat Nikodem sich bei umgebauten Häusern im Viertel gesichert, bei den Fenstern musste der Schreiner Maßarbeit abliefern. Nach rund zwei Jahren ist fast alles fertig – bis hin zum leicht kitschigen Bild der Gottesmutter mit dem Kind, das schräg über seinem Bett an der Wand hängt.
Nikodem kann seinen Traum leben – ist aber weit davon entfernt, die 1950er zu verherrlichen. In dem Haus, das er heute allein bewohnt, hat damals eine Familie mit zwölf Kinder gelebt, erzählt er – mit nur einem Klo. Die 50er – das war auch die Zeit der unbewältigten Nazi-Vergangenheit und des Kalten Krieges, weiß der 28-Jährige. «Die Zeit war anders, nicht besser», sagt er.
Deshalb greift der Ex-Bergmann bei aller Begeisterung für die alte Zeit immer wieder auch zu moderner Technik. Neben dem schwarzen Bakelit-Telefon mit Wählscheibe benutzt er vor allem sein Handy. Und an die alten Musiktruhen kann man problemlos auch eine Playstation anschließen: «Klinkenstecker – funktioniert wunderbar».