Droht dem britischen TV die Amerikanisierung?
Noch wird das britische Fernsehen von der BBC dominiert. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Ian West/PA Wire/dpa)

Richter, die als «Volksfeinde» gebrandmarkt, und EU-Politiker, die als «dreckige Ratten» bezeichnet werden. Die britische Boulevardpresse ist alles andere als zimperlich mit ihren Schlagzeilen.

Stets reißerisch und immer ein bisschen an der Grenze zwischen Patriotismus und offenem Nationalismus bewegt sich die Mehrzahl der britischen Tabloids, wie die Boulevardblätter in Großbritannien genannt werden.

Im Fernsehen sieht es hingegen anders aus. Hier dominiert die ehrwürdige BBC, die große Stücke auf ihre Unparteilichkeit und Integrität hält. Auf patriotische Jubel-Arien oder Seitenhiebe gegen die EU wartet man beim Nachrichtenkanal BBC News vergebens. Auch private Sender wie ITV oder Sky News legen großen Wert auf Unbefangenheit.

Doch besonders in der konservativen Regierungspartei wird der BBC immer wieder mangelnder Patriotismus vorgeworfen. Ein Moderatorenteam des Frühstücksfernsehens handelte sich kürzlich eine Verwarnung ein, weil sie sich über die überdimensionierte Union-Jack-Flagge im Büro eines interviewten Ministers lustig machte. Als BBC-Generaldirektor Tim Davie den Jahresbericht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt vorlegte, warf ihm ein konservativer Abgeordneter vor, nicht genügend Nationalflaggen darin abgebildet zu haben.

Auch Premierminister Boris Johnson beschwert sich immer wieder über die angeblich zu EU-freundliche BBC und spekuliert hier und da über eine Abschaffung der Beitragsfinanzierung zugunsten eines Abo-Modells im Netflix-Stil. Im Regierungssitz Downing Street dürfte man wohl zuweilen neidisch in die USA geblickt haben, wo Ex-Präsident Donald Trump mit dem Sender Fox News einen Medienpartner hatte, der ihm eine weitgehend unkritische Plattform für seine «alternativen Fakten» bot.

Ein bisschen amerikanischer soll es nun werden in der Downing Street, denn die Regierung hat einen Presseraum für rund drei Millionen Euro einrichten lassen, in dem bald tägliche Pressekonferenzen im Stil des Weißen Hauses stattfinden sollen. Premierminister Boris Johnson äußerte sich dort am Montag (29.3.) erstmals zum Stand in der Corona-Pandemie.

Und auch im Fernsehen sind wohl bald mehr patriotische Töne zu erwarten. Der neue 24-Stunden-Nachrichtensender GB News, der im zweiten Quartal dieses Jahres auf Sendung gehen soll, will der BBC Konkurrenz machen. Dahinter stehen Investoren aus den USA wie der Medienkonzern Discovery. Gesicht und Koordinator des neuen Senders ist Andrew Neil. Der umtriebige Schotte gilt als Veteran im britischen Mediengeschäft. Der 71-Jährige wurde einst als «Chief Attack Dog» (oberster Kampfhund) der BBC bezeichnet. Er hatte Johnson vor dessen Wahl zum Tory-Parteichef in einem TV-Interview so in die Mangel genommen, dass der es nicht auf ein zweites Mal ankommen ließ.

Doch inzwischen schnappt Neil immer weniger nach der Regierung und immer öfter nach der BBC, die er im vergangenen Jahr nach einem Vierteljahrhundert verlassen hatte. Ihm missfällt die nach seiner Ansicht zu sehr urbane und liberale Einstellung vieler Mitarbeiter dort, und er ist damit ganz auf der Linie des Premierministers.

«Wir versuchen denjenigen eine Stimme verleihen, die das Gefühl haben, nicht gehört zu werden», erklärte Neil kürzlich im BBC-Podcast «The Media Show». Welche Zielgruppe er da genau ansprechen möchte, wird schon an den Titeln der geplanten Formate wie «Wokewatch» oder «Mediawatch» deutlich. Mit dem Begriff «woke» wird eine Einstellung bezeichnet, die sensibel ist für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten gegenüber Minderheiten und diese anprangert. «Wokewatch» wäre also ein Format, das tatsächliche oder vermeintliche Auswüchse dieser Bewegung vorführt.

Befürchtungen, Neil wolle eine britische Version von Fox News schaffen, wiegelt er ab. Man werde sich an die Standards der Medienaufsicht Ofcom halten, versichert er. Doch das beruhigt nicht jeden. Auch der vom russischen Staat finanzierte Auslandssender RT habe eine Ofcom-Lizenz, betont Journalistik-Professor Rasmus Kleis Nielsen vom Reuters Institute im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Der früher als Russia Today bekannte Sender steht in dem Ruf, Staatspropaganda für den Kreml zu betreiben. «Wenn RT senden kann, dann gehe ich davon aus, dass eine ganze Menge anderer Sender das auch können.»

Für Bedenken sorgen auch Spekulationen, Johnson könnte den ehemaligen Chefredakteur der Boulevardzeitung «Daily Mail», Paul Dacre, an die Spitze der Aufsichtsbehörde setzen. Das wäre nach Ansicht vieler liberaler Stimmen ein Schritt, mit dem der Bock zum Gärtner gemacht würde.

Doch GB News ist nicht der einzige neue Sender, der von rechts auf den Markt drängt. Auch Rupert Murdochs News Corporation plant, ins Geschäft einzutreten. Doch bei dem geplanten Streaming-Dienst News UK, dessen Programm sich wohl auf wenige Stunden am Tag beschränken soll, ist noch nicht klar, ob der Schwerpunkt tatsächlich auf Politik oder eher auf Unterhaltung liegen wird.

Medienprofessor Des Freedman von der Goldsmiths University of London sorgt sich, dass die neuen Sender einen negativen Effekt auf die Meinungsvielfalt im Land haben könnten. Die Ansichten, die Andrew Neil für zu wenig vertreten sieht, seien sehr breit in den Boulevardblättern zu finden, sagt Freedman.

«Nur drei Unternehmen dominieren im Printbereich 90 Prozent des überregionalen Zeitungsmarkts», so der Medienwissenschaftler. Das seien DMGT («Daily Mail», «Mail on Sunday»), das Murdoch-Unternehmen News UK («The Sun», «The Times», «Sunday Times») und Reach («Daily Mirror», «Daily Express»). Rechne man den Online-Bereich hinzu seien es immer noch 60 Prozent. Bis auf den «Daily Mirror» sind alle diese Blätter auf der konservativen Seite des politischen Spektrums zu verorten.

Nielsen ist angesichts der großen Konkurrenz skeptisch, ob sich GB News und News UK bei der anvisierten Zielgruppe überhaupt werde durchsetzen können. Freedman glaubt, dass es zwar schwer werden wird für GB News, der BBC erhebliche Zuschauerzahlen abzujagen. Doch auch Fox News habe trotz einer vergleichsweise geringen Reichweite einen erheblichen Einfluss auf die Nachrichtenagenda erreicht, so der Wissenschaftler. Ob das geschehe, sei abzuwarten. Eins hält er jedoch jetzt schon für klar: Zu einer eigentlich dringend notwendigen größeren Vielfalt in der britischen Medienlandschaft werden die beiden neuen Sender nicht führen.

Von Christoph Meyer, dpa