Die Dichterin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Präsident Joe Biden. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Semansky/AP Pool/dpa)

Die Übersetzung der Gedichte von der schwarzen US-Poetin Amanda Gorman hat weltweit für Diskussionen gesorgt. In den Niederlanden hat eine weiße Person nach Kritik auf Social Media den Auftrag zurückgegeben.

In Deutschland soll die deutsche Übersetzung am 30. Mai beim Verlag Hoffmann und Campe veröffentlicht werden. Beauftragt hat der Verlag ein diverses Team. Was war passiert?

Mit «The Hill We Climb» hatte Amanda Gorman bei der Amtseinführung Joe Bidens im Januar viel Eindruck hinterlassen und wurde weltberühmt. Der frühere US-Präsident Barack Obama tweetete: «Ein historischer Tag. (…) Junge Menschen wie sie sind der Beweis, dass «es immer Licht gibt, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein». Das Zitat stammt aus dem Gedicht der Poetin. Es handelt von Spaltung, Hoffnung und Mut und ist geschrieben aus ihrer Perspektive, also aus der Sicht einer – «dünnen, schwarzen Nachfahrin von Sklaven», wie Gorman sagt.

Schon bald rissen sich Verlage um Gormans Texte. In den Niederlanden hatte der Verlag Meulenhoff Marieke Lucas Rijneveld beauftragt. Eine preisgekrönte, weiße, nicht-binäre Person – also ohne eine männliche oder eine weibliche Geschlechtsidentität.

Kurz nach der Bekanntgabe der Wahl kritisierte die schwarze Journalistin Janice Deul, dass es viele schwarze Frauen gebe, die geeigneter wären. Sie habe nichts gegen Rijneveld, aber die Wahl sehe sie kritisch. Eine Debatte entbrannte. Im deutschen Feuilleton wurde über die Frage gestritten, wer für wen sprechen darf. Auch dem katalanischen Übersetzer Victor Obiols wurde der Auftrag wieder entzogen.

Der Schriftstellerin Mithu Sanyal zufolge wird die Debatte falsch geführt. Dass prinzipiell Schwarze nur die Texte schwarzer Autorinnen und Autoren übersetzen dürfen, habe Janice Deul nicht gefordert. «Ich glaube eher, es war ein Kommentar über den Literaturmarkt.»

Der sei nämlich weder in den Niederlanden noch in Deutschland divers genug. Und das sei ein Problem. Die Kunst habe den Anspruch, dass sie Neues denkbar macht und ein Spiegel der Gesellschaft ist – und das sei der Literaturbetrieb nicht, so die Autorin des neu erschienen Romans «Identitti» über Identität und Rassismus. Die Gorman-Debatte verdeutliche diesen Umstand.

Tatsächlich ist es schwer, den Anteil von nicht-weißen Menschen in der Branche zu fassen. Eine Sprecherin des «Bundesverbandes für Dolmetscher und Übersetzer» erklärt, dass der Beruf nicht geschützt sei. «Das bedeutet: Jede Person, die gerne übersetzen möchte, kann es tun. (…) Niemand weiß genau, wie viele Kolleg/-innen jeglicher Herkunft in dem Bereich tätig sind.»

Der Sprecherin nach sind «People of Color in der Tat die Ausnahme». So bezeichnen sich Menschen, die nicht als weiß, westlich oder deutsch wahrgenommen werden und Rassismuserfahrungen machen. Gleichzeitig steige die Nachfrage nach ihnen und Verlage seien auf der Suche nach «Übersetzer/-innen mit einem bestimmten Erfahrungsschatz/soziokulturellen Hintergrund».

Auch Sanyal zufolge sind Parallelen in der Identität zwischen der Autorin und der Übersetzerin ein wichtiges, aber eben nur eins unter vielen Kriterien. Im Falle Gorman aber wichtiger, weil sie sich in ihren Texten auch stark mit der Identität als schwarze Frau befasse.

Prinzipiell könne man also auf die Identität achten – aber nicht um ein politisches Zeichen zu setzen, sondern um gute Arbeit zu leisten. «Wer darf oder wer darf nicht übersetzen? Das ist ja die falsche Frage. Die Frage ist doch eher, was wäre die optimale Übersetzung, die wir uns wünschen?» Das werde dem deutschen Team auch gelingen. «Ich finde die deutsche Lösung so absolut brillant», freut sich die Schriftstellerin.

Das Übersetzungsteam, bestehend aus der Literatur- und Lyrikübersetzerin Uda Strätling, der sprachsensitiven Autorin Kübra Gümüşay und der Journalistin und Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelker, hatte sich schon vor der Debatte formiert, wie sie auf Anfrage mitteilten. Zudem kritisieren sie ebenfalls wie Sanyal die Debatte als zu reflexhaft und verkürzt. «Es geht nicht darum, etwas wegzunehmen, sondern um eine Weitung des Blicks.» Also die etablierten Strukturen im Literaturbetrieb «machtkritisch infrage zu stellen, ohne sich und das eigene Dasein gleich in Gefahr zu sehen», so die Übersetzerinnen. Gorman habe sich zudem von den europäischen Verlagen diversitätssensible Lösungen gewünscht. Für die drei Frauen sei dieser Auftrag ein «herausragendes und freudiges Experiment» gewesen.

Die Übersetzung sei im lebendigen und intensiven Austausch und Zeile für Zeile bearbeitet worden. Das sei nicht immer ganz einfach gewesen. Verhandlungen habe es gegeben – bei einigen Interpretationsfragen hätten sie Amanda Gorman sogar kontaktiert.

Auch der Verlag Meulenhoff aus den Niederlanden hat Medienberichten zufolge nach Rijnvelds Rückzug und der Kritik ein Team beauftragt. Rijneveld hatte mit einem Gedicht Stellung bezogen und Verständnis für die Kritik gezeigt. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» druckte das Gedicht «Alles Bewohnbar», in dem Rijneveld schreibt: «Den Widerstand nie aufgegeben, und dennoch einsehen müssen, wenn es nicht an dir ist, wenn du vor einem Gedicht auf die Knie gehst, weil ein anderer es besser bewohnbar macht.»

Von Esra Ayari, dpa