John Waters wirbelt kurz vor seinem 75. Geburtstag mit «Hollywood’s Greatest Hits» die Kulturszene auf. Es ist nicht etwa ein neuer Film des Kultregisseurs, der mit Streifen wie «Hairspray», «Polyester» und «Cry-Baby» schockierte.
Der notorische Tabubrecher stellt bis Mai in einer Galerie in Los Angeles mehr als 30 Werke aus, darunter Videos, Fotos, Skulpturen und Installationen – eine witzige Abrechnung mit Hollywood.
«Ich dachte mir, das ist die perfekte Show während der Oscar-Saison», sagte Waters zur Ausstellungseröffnung im Februar der «Los Angeles Times». Kunst sei für ihn ein anderer Weg, um eine Geschichte zu erzählen. Noch immer ist da sein bissiger Witz, mit dem Waters seit den 1970er Jahren provoziert und unterhält.
In dem Fotodruck «Beverly Hills John» zeigt sich der Star mit dem hauchdünnen Oberlippenbärtchen mit gestrafften Augen und prallen Lippen, wie nach einer Schönheitsoperation. In «Justin’s Had Work» trifft es Popstar Justin Bieber, mit Filler in den Wangen und breitem Schmollmund. Auch TV-Star Lassie erhält von Waters eine Gesichtsstraffung. «Facelifts für Haustiere kommen bestimmt. Ich bin mir sicher, das gibt’s schon», kritisiert Waters den Schönheitswahn im Showbusiness. Manche Leute sähen nach den Eingriffen wie «Aliens» aus.
«Wäre ich nach meinem ersten Film nach L.A. gekommen, vielleicht sähe ich dann so aus», witzelt Waters im «Times»-Interview. Doch der Regisseur, der am Donnerstag (22. April) seinen 75. Geburtstag feiert, ist seiner Heimatstadt Baltimore im Ostküsten-Staat Maryland treu geblieben.
Dort wurde er 1946 als John Samuel Waters Jr. geboren. Schon als Kind sei er anders gewesen, erzählte er 2009 der Deutschen Presse-Agentur, voll des Lobes für seine Eltern. «Als ich klein war, hat mich meine Mutter zu Schrottplätzen gebracht, weil ich von Unfällen und Blut besessen war. Sie haben nicht gewusst, was sie mit mir machen sollen. Aber sie haben das Richtige gemacht und mich ermuntert. Sie haben nicht versucht, mich zu ändern. Ich habe eine tolle Familie. Vermutlich bin ich auch deshalb nicht in der Irrenanstalt gelandet.»
In den 1960er Jahren experimentierte Waters mit Underground-Kurzfilmen. Mit dem Transvestiten Divine drehte er 1972 den schrillen Schocker «Pink Flamingos». Die berüchtigte Szene, in der Divine Hundekot verspeist, brachte Waters den Ruf als «Trash-Papst» ein. Mit «Female Trouble» und «Desperate Living» war die Trash-Trilogie des schwulen Filmemachers 1977 komplett.
1981 machte er sich mit der Gesellschaftssatire «Polyester» über das amerikanische Vorstadtleben lustig, in dem Filmmusical «Hairspray» (1988) prangerte er auf sarkastische Weise Rassismus und Diskriminierung an. Divine übernahm die Rolle der schwergewichtigen Edna Turnblad, die ihrer fülligen Tochter Tracy vergeblich erklärt, dass man als Pummelchen bei Tanz-Shows keine Chance hat.
Divines Tod kurz nach der «Hairspray»-Premiere war das Ende für Waters‘ Ära der wüsten Travestie-Comedys. In «Cry-Baby» (1990), über zwei Jugendgangs im Baltimore der 1950er Jahre, spielte der junge Johnny Depp den rebellischen Rocker Cry-Baby.
In der Satire «Serial Mom – Warum lässt Mama das Morden nicht?» (1994) machte Waters aus Kathleen Turner eine perfekte Hausfrau, Mutter und Mörderin. In der bissigen Satire «Pecker» (1998) nahm Waters mit gehässigen Seitenhieben die Blasiertheit in der New Yorker Kunstszene ins Visier.
Multitalent Waters hat auch als Schauspieler und Autor Erfolg. Kurz vor seinem 70. Geburtstag reiste er als Anhalter von Baltimore quer durch die USA nach San Francisco. Mit Schildern wie «Midlife-Krise» und «Ich bin kein Psycho» stellte er sich an den Straßenrand und schrieb seine Abenteuer in dem Buch «Carsick» nieder.
Der Kult-Künstler wird längst von der Mainstream-Szene hofiert. 2017 stellte er bei der Kunst-Biennale in Venedig aus, 2018 erhielt er als Schriftsteller den französischen Offiziersorden für Kunst und Literatur. 2019 verlieh ihm das Filmfestival von Locarno den Lebenswerk-Preis. «Sein empörendes, unterhaltsames und freudvolles Werk ist ein Symbol der Freiheit, weit weg von der politischen Korrektheit, die heute herrscht», begründeten die Schweizer Festivalmacher ihre Wahl.
Er wäre bestimmt im Gefängnis gelandet, hätte er nicht das Filmemachen als Ventil für «all die asozialen Dinge», die er beim Drehen umsetzen konnte, entdeckt, sagte Waters der «Los Angeles Times». «Hätte ich all das getan, was in meinen Filmen passiert, hätte ich vor 40 Jahren die Todesstrafe erhalten.»