Erst ausgezeichnet, dann zur unerwünschten Person erklärt, am Ende doch wieder zurückgeholt: Lars von Triers Verhältnis zum Filmfestival in Cannes ist so kontrovers wie das, was Filmfreunde zu seinen Werken haben.
Viele lieben es, wie der Däne in «Antichrist» und anderen Werken die Grenzen des Films austestet, andere kommen mit der Brutalität mancher Szenen nicht klar. «Ich glaube, wenn ich nicht der Regisseur wäre, würde ich mir meine eigenen Filme auch nicht anschauen wollen», sagte von Trier selbst 2018 der «Süddeutschen Zeitung». Jetzt wird der Grenzgänger am 30. April 65 Jahre alt.
Nach der Kinopremiere seines vorerst letzten Films «The House That Jack Built» vor zweieinhalb Jahren ist es erschreckend ruhig geworden um von Trier. Interviews gibt er im Grunde keine mehr, um seine Gesundheit soll es alles andere als gut bestellt sein.
Darauf wies er bereits 2018 in besagtem «SZ»-Interview hin, das einen seltenen Einblick in die Seelenwelt des psychisch oft so fordernden Filmemachers gewährte. Er sei ständig so müde, dass er sich kaum wachhalten könne, sein Leben sei schon seit der Kindheit gezeichnet von Angst, Phobien, Panikattacken und Depressionen, schilderte von Trier darin. Seine Psychopharmaka seien mittlerweile so hoch dosiert, dass die Hände ständig zitterten, womit er kaum sein Handy bedienen könne.
Die Frage, ob er – der Schöpfer manch höllischer Gewaltszene – selbst an die Hölle glaube, verneinte er. «Für mich ist das Leben selbst schon die Hölle, ich wüsste nicht, wie es danach noch schlimmer kommen könnte.»
Trotzdem hat es von Trier geschafft, einige der meistdiskutierten Stücke des zeitgenössischen Films auf die Beine zu stellen. Tabubrüche gehören dabei zum Standardrepertoire. Besonders heftig wurde es unter anderem im Horror-Thriller «Antichrist» mit Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe.
Aber auch «The House That Jack Built» um Matt Dillon, Bruno Ganz und Uma Thurman testete die Grenzen der Zumutbarkeit aus: Als der Film um einen Serienmörder 2018 – ausgerechnet in Cannes – Weltpremiere hatte, beklatschten viele Zuschauer das Gezeigte minutenlang. Andere dagegen waren da schon längst entsetzt aus dem Saal gestürmt.
Mit dem Filmfestival in Cannes wird Lars von Trier vermutlich immer in Verbindung gebracht werden, ob er denn will oder nicht. 2000 hatte er dort für «Dancer in the Dark» mit der isländischen Musikerin Björk in der Hauptrolle die Goldene Palme erhalten, 2011 erklärte man ihn an gleicher Stelle wegen umstrittener Nazi-Äußerungen zur Persona non grata.
Damals hatte er im Hinblick auf seinen deutschstämmigen Vater gesagt, «ein bisschen» mit Adolf Hitler zu sympathisieren. «Ich bin ein Nazi», sagte er mit Blick auf seine familiäre Herkunft. All das war laut von Trier nicht ernst gemeint, Cannes fand es trotzdem nicht lustig – und schloss ihn über Jahre vom Filmfestival aus. Erst nach sieben Jahren holte man ihn zu seiner Überraschung mit «The House That Jack Built» und außer Konkurrenz zurück.
Dass Filme wie dieser anecken, ist dem zweifach geschiedenen Vater von vier Kindern bewusst. «Ich versuche immer, so weit wie möglich zu gehen», sagte er 2018 der Deutschen Presse-Agentur. «Das Publikum kann aus der Vorführung gehen oder nicht. Aber Dinge, die im wahren Leben passieren, sind schlecht, übel und böse. Und das sollte in Filmen erzählt werden, gleich ob Fiktion oder nicht.»
Geboren wurde Lars von Trier am 30. April 1956 in Kopenhagen. Seinen Nachnamen verdankte er dem Umstand, dass die Vorfahren seines Ziehvaters einst aus Trier nach Dänemark ausgewandert waren. Erst als Erwachsener erfuhr der angehende Regisseur von seiner im Sterben liegenden Mutter, dass sein leiblicher Vater in Wirklichkeit ein anderer mit deutschen statt mit jüdischen Wurzeln war. Das «von» hatte er sich da bereits selbst gegeben, als er an der Universität und an der Dänischen Filmhochschule in Kopenhagen studiert hatte.
1981 zeigte von Trier auf dem Festival der Filmhochschulen München sein Kurzfilm-Erstwerk «Nocturne». Drei Jahre später folgte mit «Forbrydelsens element» (Spuren des Verbrechens) sein erster Kinofilm, der das erste größere internationale Interesse an seiner düsteren, psychologisch tiefgründigen Arbeit auf sich zog.
Der endgültige internationale Durchbruch gelang ihm 1996 mit dem mehrfach ausgezeichneten Drama «Breaking the Waves». In dessen Nachfolger «Idioten» hielt er sich an die Regeln der von ihm mitgegründeten Dogma-95-Bewegung, die etwa die ausschließliche Nutzung von Handkameras vorsah. Einer der damaligen Mitgründer war übrigens ein gewisser Thomas Vinterberg – jener Däne, dessen Drama «Der Rausch» (Druk) gerade den Auslands-Oscar gewonnen hat.