Ulrich Peltzers Berlin-Kaleidoskop «Das bist du»
Der Autor Ulrich Peltzer 2015 in Frankfurt am Main. (Urheber/Quelle/Verbreiter: picture alliance / dpa)

Wie kommt man zurück in die Vergangenheit, an einen Ort, den es nicht mehr gibt? In Ulrich Peltzers neuem Roman «Das bist du» geht die Reise in das legendäre West-Berlin Anfang der 1980er Jahre. New Wave, Punk, neonhelle Szenekneipen und Kohleöfen im Hinterhaus, und mittendrin ein junger Mann, der sich verliebt hat.

Hals über Kopf, im eisigen Winter. Da studierte er noch Psychologie und will doch lieber schreiben. Zwei Jahre später, als alles vorbei ist, jobbt er als Filmvorführer, viel Geld braucht er nicht im Monat, die Miete in der maroden Mauerstadt ist spottbillig.

So beginnt dieser autobiografisch gefärbte, eindrucksvolle Roman des seit vielen Jahren in Berlin lebenden Autors Ulrich Peltzer («Das bessere Leben»), aber beginnen ist hier das falsche Wort. Wir Leser tauchen ein in einen Erzählstrom, der immer wieder neu ansetzt, abbricht, manchmal zwischen den Zeiten und Orten hin- und herspringt, und dabei das Erinnern selbst zum Thema macht. Dabei ist dieser Roman gerade auch mit seinen Auslassungen keineswegs willkürlich angelegt, sondern klug und facettenreich konstruiert. «Angefangen wird mittendrin» lautete bereits der Titel von Peltzers Frankfurter Poetikvorlesungen (2011).

Das Schlüsselereignis in «Das bist du» ist die Geschichte einer Amour fou. Nach einem Konzert von Joe Jackson steht der Ich-Erzähler mit seiner Begleitung Karla am Tresen im «Dschungel», als er eine Frau entdeckt, zu der er sich magisch «wie ein Schlafwandler» hingezogen fühlt. Leonore verwickelt ihn in ein Gespräch, da ist Karla längst vergessen. Die beiden erleben eine leidenschaftliche Nacht, dann ist sie weg, er hat ihre Telefonnummer nicht, findet aber zwischen Wand und Matratze ein Buch von ihr mit ihrem Nachnamen. Alles nur Zufälle, und plötzlich ist das die große Liebe.

Jetzt holt der Roman tief Luft, Leonore tritt in den Hintergrund, und wir lernen den Erzähler und seine im Grunde sehr begrenzte Welt kennen. Da geht es um eine freudlose Schulzeit in der Provinz, ums Mittagessen bei den Großeltern, den Jugendfreund Hartwig. Dann das Psychologie-Studium in Berlin. Da gibt es endlich Musik, Film und Literatur, alles Dinge, die wie eine Befreiung wirken. Der rebellische Popliterat Rolf Dieter Brinkmann fasziniert den jungen Studenten ebenso wie der glutvolle italienische Romancier Cesare Pavese. Er hört Patti Smith und The Cure, erlebt rauschhafte Konzerte und stürzt mit Drogen ab.

In dieser Zeit schien vieles möglich zu sein. Die Leute waren immer unterwegs, neue Bands, Projekte, Ausstellungen, Zeitschriften. Immer extrem und immer sofort: «Die Mittellage war der Tod» heißt es an einer Stelle. Peltzer entwirft das schillernde Kaleidoskop einer längst versunkenen Epoche, und dann kommt er auf seine Liebesgeschichte zurück.

Der prosaische Alltag holt natürlich auch dieses Jubelpärchen schnell ein. Geldsorgen kommen dazu, Leonore muss jobben, und verliebt sich schließlich in einen viel älteren Akademiker, der auch noch Dolf heißt, was der betrogene Erzähler besonders lächerlich findet. Sein Spott nutzt ihm wenig, der Höhenflug ist zu Ende, das Studium beendet, aber der Job in der forensischen Psychiatrie hat für ihn keine Zukunft.

Zum Glück ist da noch Nils, der Filmvorführer und Freund, der den Erzähler aus seinem Liebeskummer herausholt und ihn im Kino anlernt. Der Lebensfilm läuft weiter, und führt zum Schreiben und der Literatur. «Für mich ist Kunst nie ein Spiel gewesen, bei dem man nach Belieben einsteigt oder aussteigt», heißt es an einer Stelle. Auch wir Leser bleiben bei diesem Roman bis zum Ende gebannt dabei.

Ulrich Peltzer: Das bist du, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 286 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-10-002466-4

Von Johannes von der Gathen, dpa