Eine Buchstabiertafel aus einem Berliner Telefonbuch aus dem Jahr 1978/89 unter die Lupe genommen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christoph Soeder/dpa)

Jahrzehnte sorgten sie für Klarheit beim Buchstabieren von Namen am Telefon – jetzt haben Anton, Berta und Cäsar ausgedient.

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat sich seit Herbst die Norm «Diktierregeln» vorgenommen – und damit auch die offizielle Buchstabiertafel als Teil davon.

«Wir sind bei der Überarbeitung der DIN 5009 im Plan und rechnen mit einer Veröffentlichung des Entwurfs im dritten Quartal des Jahres», sagt Julian Pinnig vom Institut in Berlin. Ein gutes Dutzend Experten befasst sich mit den Bezeichnungen für die Buchstaben. Sie kommen etwa aus Bildung und Ausbildung, von Versicherungen oder Postunternehmen.

Konkrete Bezeichnungen für die einzelnen Buchstaben werden noch nicht verraten. Nur so viel: Künftig sollen Städte statt Vornamen die richtige Schreibweise von Wörtern, Mailadressen oder Aktenzeichen sichern. Statt W wie Wilhelm könnte es dann Wiesbaden oder Worms heißen. In Frage kommen Städte, die klar unterscheidbar sind und die Vielfalt des Landes abbilden. Hintergrund für die Städtenamen ist auch die Veränderung der gesellschaftlichen Realität. Eine Buchstabiertafel mit den bisherigen Vornamen spiegelt aus Sicht der DIN-Normer die kulturelle Diversität der Bevölkerung in Deutschland nicht ausreichend wider.

Ausgelöst hat die Reform Michael Blume, Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter. Ihn stört, dass in der aktuellen Tafel noch immer Relikte aus der Zeit der Nationalsozialisten stecken. Diese hatten 1934 alle jüdischen Namen entfernt: Aus David wurde Dora, aus Nathan Nordpol, aus Samuel Siegfried. Zwar wurde die Tafel nach 1945 einige Male überarbeitet. Doch Nathan blieb draußen, Nordpol drin.

Nordpol klingt unverdächtig, aber für Blume ist es ein Beispiel, wie Antisemitismus funktioniert. «Es gibt ganz viele Bereiche, die von den Nazis vergiftet wurden. Sie werden zu Traditionen, über die niemand mehr nachdenkt.» Der Nordpol etwa sei der Ort, «von dem nach der alternativen Geschichtsschreibung der Nazis die Arier herkommen», sagt Blume. «Mit dem Wissen müssen wir den Nordpol aus der Buchstabiertafel streichen.»

Weil die Buchstabiertafel ohnehin in die Jahre gekommen ist, haben die DIN-Experten gleich alles umgekrempelt. Feuerwehrleute, Sekretariate, kaufmännische und andere Berufe, die die Buchstabiertafel noch hauptsächlich für ihre Kommunikation nutzen, hätten sich etwas aus ihrer Lebenswelt gewünscht. Da gehören deutsche Städte dazu.

Doch mit der Entscheidung für die Städte ist auch Nathan raus. Um auf die wechselhafte Geschichte der Buchstabiertafel aufmerksam zu machen und ein Zeichen zu setzen, möchte das Institut symbolisch eine zusätzliche Tafel veröffentlichen, die auf die Zeit der Weimarer Republik zurückgeht – in der sollen wieder alle jüdischen Vornamen enthalten sein.

«Durch die Umstellung auf Städtenamen gelingt es, die Buchstabiertafel auf lange Sicht aktuell zu halten, denn Städtenamen ändern sich natürlich nicht so schnell wie Trends bei Vornamen», sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Leiterin der Duden-Redaktion. Auch wenn Ältere sich nicht mehr damit anfreunden werden – die Sprachexpertin ist überzeugt, dass junge Leute und Zuwanderer eher etwas mit K wie Köln als mit Konrad anfangen können.

Kunkel-Razum erwartet, dass alte und neue Tafel eine Zeit lang parallel verwendet werden. Irgendwann könnte sich auch eine internationale Tafel etablieren: «Für den Moment scheinen die Hürden dafür jedoch noch sehr hoch zu sein, fußt die internationale Tafel doch auf dem englischen Alphabet und ist bisher überwiegend im internationalen Funkverkehr beim Militär und in der Seefahrt im Einsatz.»

Zudem haben nicht alle Sprachen die gleichen Buchstaben. Ä wie Ärger ist eben typisch deutsch. Wie überhaupt das Normieren des Buchstabierens seit nun rund 130 Jahren, findet Blume. Er schließt nicht aus, dass die Menschen künftig beim Buchstabieren ihrer Mail-Adressen einfach Wörter aus dem Alltag benutzen und dass die offizielle Tafel so zum letzten Mal verändert wird. «Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Nazis dann nicht das letzte Wort haben.»

Von Susanne Kupke und Gerd Roth, dpa