Es wirkt massiv, nur der blaue Überwurf lässt das Eisen- und Messingbett etwas eleganter wirken. Marcel Proust verbrachte die letzten Lebensjahre in diesem Bett, in dem er «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» (Originaltitel: À la recherche du temps perdu) geschrieben hat – den längsten und wichtigsten Roman der französischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts.
Der ungewöhnliche Ort des Schaffens ist seit wenigen Wochen im Museum der Geschichte von Paris zu sehen, zusammen mit anderen Möbeln, die dem Schriftsteller gehörten, der vor 150 Jahren (10.7.1871) in Paris geboren wurde.
Er schrieb im Bett
«La Chambre de Proust» (Das Zimmer von Proust) heißt der Ausstellungsraum im umgebauten Museum Carnavalet, das wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten jahrelang geschlossen war. Seit seiner Öffnung Mitte Mai drängen sich Besucher durch den Raum, um die Schreibutensilien des Autors zu besichtigen, der den bedeutendsten Teil seines Gesamtwerks liegend zu Papier gebracht hat. Er schrieb auf seinen Ellbogen gestützt.
Seit fünfzehn Jahren lebe er liegend, schrieb er 1919 in einem seiner unzähligen Briefe. Laut Experten dürfte nur ein Viertel seines Briefwerks bekannt sein. Der Proust-Spezialist Philip Kolb hat die Anzahl der Briefe des Autors, der 51-jährig am 18. November 1922 gestorben ist, auf rund 90 000 geschätzt. Kolb selbst hat weit über 4000 in 21 Bänden zusammengetragen und kommentiert.
Leiden prägten sein Werk
Proust war Asthmatiker. Seinen ersten Anfall erlitt er als Kind. Später kamen noch weitere echte oder eingebildete Krankheiten hinzu, die von Verdauungsstörungen bis zu Neurasthenie reichten. Leiden prägten sein Werk und wurden zu seiner schöpferischen Antriebsfeder.
In einem Brief aus dem Jahr 1917 an die rumänische Prinzessin Hélène Soutzo führte er aus, dass er an seinen Leiden hänge und der Gedanke, sie könnten ihn verlassen, sei ihm verhasst. Die Prinzessin lernte Proust über Paul Morand kennen – Schriftsteller, Diplomat und Freund.
«Es ist Mitternacht: man hat gerade das letzte Gaslicht gelöscht; der letzte Dienstbote ist gegangen, und er wird die ganze Nacht leiden müssen ohne Beistand», schreibt Proust auch in «Auf dem Weg zu Swann», Band 1 seines Romanzyklus. Darin erinnert sich der Ich-Erzähler Marcel an die Ferien als Kind auf dem Land in dem fiktiven Dorf Combray. Ferien, die jenen gleichen, die er im Haus seiner Großtante Elisabeth in Illiers verbrachte. Seit Anfang der 1970er Jahre trägt die über 3000 Einwohner zählende Gemeinde in der Region Centre-Val de Loire deshalb auch den Namen Illiers-Combray.
Proust hat mit seinem epochalen Meisterwerk einen Roman der Erinnerung geschrieben. Er habe sein Leben in das Buch gesteckt, schrieb er an seinen Freund und Journalisten René Blum. Das Buch sei ein «Blütenstängel von Erinnerung». Darin beschreibt der Sohn eines Arztes auch seine erste Liebe, sein Leben als Salonlöwe und seinen allmählichen Rückzug in sein Zimmer. Dazwischen liegen philosophische Gedanken über den Sinn des Lebens und seitenlange poetische Beschreibungen von Landschaften und alltäglichen Dingen.
Keine unbeschwerte Kindheit
Marcel Proust war ein Vielschreiber. Immer wieder tauchen bei Versteigerungen Briefe auf oder unbekannte Texte. So erschien erst im Oktober 2019 der Novellen- und Skizzenband «Le Mysterieux Correspondant et autres nouvelles inedites». Darin geht es unter anderem um seine Homosexualität, weswegen Proust zu Lebzeiten auf eine Veröffentlichung verzichtet haben soll. Seine schwule Veranlagung bringt er erstmals in seinen Briefen zum Ausdruck. Nachvollziehbar wird sie auch in «Sodom und Gomorrha», dem vierten Band von «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit».
Anlässlich seines 150. Geburtstages sind zahlreiche Publikationen erschienen. In Frankreich brachte Gallimard unter dem Titel «Les soixante quinze feuillets» (dt. Die fünfundsiebzig Blätter) heraus. Eine Art erster Entwurf seines Hauptwerkes, in dem er jedoch für einige seiner Romanfiguren die wahren Vornamen verwendet, wie die seiner Mutter und Großmutter.
Die autobiografische Spur seiner Kindheit hat Proust in seinem Roman verdeckt, eine Kindheit, die nicht sehr unbeschwert war. Proust erlitt seine ersten Asthmaanfälle im Alter zwischen neun und zehn Jahren, was ihn auch psychisch schwächte. Seine starke Atemnot machte ihn von anderen abhängig, vor allem von seiner Mutter. Als sein Vater 1903 starb und zwei Jahre später Prousts Mutter, fiel Proust in tiefe Depressionen. Da war er um die Dreißig.
In Deutschland feiert vor allem der Reclam-Verlag das Jubiläumsjahr. Dort sind etwa das «Proust-ABC» von Ulrike Sprenger erschienen, ein pointierter alphabetischer Wegweiser durch sein epochales Meisterwerk sowie «Auf der Suche nach Marcel Proust», ein Einsteigeralbum in Bildern und Texten, herausgegeben von Bernd-Jürgen Fischer.