Zwischen Harry und William klafft eine Lücke. Etwas hilflos stehen die Brüder vor dem Abbild ihrer Mutter, nachdem das verhüllende Tuch zu Boden gefallen ist. Ihr Blick ist auf die überlebensgroße Statue von Prinzessin Diana gerichtet, die die beiden in Auftrag gegeben haben.
Keine Umarmung, nicht einmal ein Schulterklopfen, wie man es früher häufiger bei den Prinzen beobachten konnte. Zwar ist großzügiger Abstand zwischen Menschen in Corona-Zeiten nichts Unübliches – doch innerhalb der engsten Familie ist Körperkontakt in England eigentlich längst wieder erlaubt. Es bleibt der Eindruck, dass der Graben, der sich zwischen den Brüdern in den vergangenen Monaten vertieft hatte, trotz aller Professionalität nicht so einfach zu überbrücken ist.
Dabei geben sich William (39) und Harry (36) alle Mühe, ihrer 1997 bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommenen Mutter, die an diesem Tag im Mittelpunkt stehen soll, kein Stück Rampenlicht zu nehmen. Diana wäre heute 60 Jahre alt geworden.
Ein Denkmal für die Mutter
Mit der bronzenen Skulptur, entworfen von Bildhauer Ian Rank-Broadley, wollen die Söhne ihrer Mutter ein Denkmal setzen. «Jeden Tag wünschen wir uns, dass sie noch bei uns wäre, und unsere Hoffnung ist, dass diese Statue für immer als Symbol ihres Lebens und ihres Erbes angesehen wird», erklären die Brüder in einem gemeinsamen Statement.
Dass beide zu diesem Anlass mit einer Stimme sprechen, ist schon ein kleiner Schritt nach vorne. Zum Tod ihres Großvaters Prinz Philip, nach dem sich Harry und William erstmals nach dem «Megxit» wiedertrafen, veröffentlichten sie noch getrennte Statements – von Beobachtern als geheimer Wettstreit um die originelleren, einfühlsameren Worte entlarvt.
«Wir erinnern uns an ihre Liebe, ihre Stärke und ihren Charakter – Eigenschaften, die sie zu einer Kraft für das Gute in der Welt gemacht haben, die unzählige Leben zum Besseren verändert hat», schreiben die Prinzen in ihrer Würdigung. Die Statue spiegelt Dianas Einsatz für andere wieder, an ihrer Seite sind drei Kinder zu sehen, die sich teils an sie schmiegen.
Diana hatte wie kein anderes Mitglied des Königshauses ihr Mitgefühl mit anderen Menschen zum Ausdruck gebracht. Selbstbewusst schüttelte sie die Hände Aids-Kranker und erwarb sich unter anderem damit den Ruf, eine «Königin der Herzen» zu sein.
Zu sehen sein ist das Denkmal nun im Sunken Garden (Versunkener Garten) auf dem Gelände des Kensington-Palasts, wo Diana zuletzt lebte. Die Prinzessin starb auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit, als im Sommer 1997 der Wagen, mit dem sie und ihr damaliger Freund Dodi Al Fayed unterwegs waren, auf der Flucht vor Paparazzi an einem Tunnelpfeiler in Paris zerschellte. Der Garten in London soll eine besondere Anziehungskraft auf die Prinzessin ausgeübt haben. In den vergangenen Jahren wurde er neu konzipiert und mit 4000 Blumenarten bepflanzt – darunter Dianas Lieblingsblumen Vergissmeinnicht.
Rückzug von Harry
Als Harry und William 20 Jahre nach dem tragischen Tod 2017 die nun im Beisein von Dianas Geschwistern enthüllte Statue in Auftrag gaben, war ihre Welt noch eine andere als heute: Harry lebte in Großbritannien, konnte mit William noch gemeinsam lachen und traf gerade erst einige Monate lang jene Frau, mit der er wenige Jahre später seine Familie verlassen sollte. Heute lebt er mit Herzogin Meghan und seinen zwei Kindern, Archie (2) und dem Baby Lilibet, in Kalifornien – und spricht immer wieder offen über die Vergangenheit.
So kamen auch die Gründe für den Abschied des Paares von der Krone erst vor einigen Monaten vollständig ans Licht. Nicht nur der erbitterte Streit mit der britischen Presse und rassistische Schlagzeilen zu Meghans afro-amerikanischen Wurzeln sollen schuld gewesen sein. Rassismus in der eigenen Familie und mangelnde Unterstützung in der Krise brachten das Fass zum Überlaufen – so zumindest die Erzählung von Harry und Meghan, die diese im Frühjahr prominent in einem explosiven Interview mit Moderatorin Oprah Winfrey und der Welt teilten.
Während der Palast zwar kühl, aber zurückhaltend reagierte, war Prinz William derjenige, der sich am härtesten gegen die Vorwürfe positionierte. Die Royals seien «ganz sicher keine» rassistische Familie, rief er wenige Tage nach dem Interview Reportern zu. Ein Dementi, so klar, wie man es nur selten im royalen Universum hört.
Wie die BBC unter Berufung auf Insider-Kreise berichtete, soll die Kommunikation zwischen den beiden seitdem auf ein Minimum beschränkt und von tiefem Misstrauen und Ärger geprägt sein. Ob die Brüder sich im gemeinsamen Gedenken an ihre Mutter aktiv um eine Versöhnung bemühen, bleibt Spekulation.
Der «Telegraph» berichtete immerhin, die beiden wollten sich im Anschluss zu der Denkmalzeremonie zum Gespräch treffen. Doch von einem solchen Friedensgipfel war bei Harrys letztem Besuch zu Prinz Philips Beerdigung auch schon gemunkelt worden – und letzlich wenig zu spüren.