Mode-Experte André Leon Talley ist tot
André Leon Talley (2009). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Evan Agostini/AGOEV/AP/dpa)

Die Accessoires schrill, die bodenlangen Kaftane schreiend bunt und der Gang stets königlich schreitend: André Leon Talley stach auf jedem roten Teppich sofort heraus.

Der rund zwei Meter große Mode-Experte, der jahrzehntelang für verschiedene US-Magazine arbeitete, galt als eine der weltweit einflussreichsten Stil-Ikonen. Am Dienstag ist Talley im Alter von 73 Jahren gestorben.

«Talley war der überlebensgroße, langjährige Kreativdirektor der „Vogue“ während ihres Aufstiegs als Modebibel der Welt», hieß es in einer Stellungnahme auf Talleys offiziellem Instagram-Kanal. Sein Tod wurde von US-Medien ebenfalls übereinstimmend unter Berufung auf Manager David Vigliano gemeldet.

Befreundet mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis

Talley sei «einer der letzten großen Mode-Redakteure mit einem unglaublichen Sinn für die Geschichte der Mode», hatte Star-Designer Tom Ford einmal der «Vanity Fair» gesagt. Aber Talley war auch schon seit Jahren schwer übergewichtig und gesundheitlich angeschlagen und hatte sich weitgehend aus dem Scheinwerferlicht zurückgezogen.

«Meine Freundin, die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, hat mich in Deutschland zu einem Arzt geschleppt, und der hat mir gesagt, dass ich am nächsten Tag sterben werde, wenn ich mein Leben nicht ändere», hatte er vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung im New Yorker Kulturzentrum 92Y erzählt. «Manchmal fühle ich mich wie 105, aber an den meisten Tagen fühle ich mich geistig wie 25.»

In seiner Autobiografie «The Chiffon Tranches» beschrieb er sich 2020 als «riesige Galeone, die langsam in den Hafen einsegelt, angeschlagen von so vielen Kämpfen». Nach langen Jahren in New York und Paris war Talley aufs Land gezogen, in ein Anwesen im New Yorker Nobel-Vorort White Plains, wo er «unter Anleitung» gärtnerte und Platz für all seine Schätze fand. «Meine Laken haben 3000 Dollar gekostet und drei meiner Schlafzimmer sind eigentlich Ankleidezimmer voller Klamotten. Aber ich weiß, wo jedes einzelne Stück ist.» Mit Geld habe er noch nie umgehen können. «Ich weiß nur, wie man es ausgibt.»

Geboren wurde der Afroamerikaner 1948 und wuchs im US-Bundesstaat North Carolina auf. «Sofort nach meiner Geburt haben mich meine Eltern zu meiner Großmutter gebracht und ihr Haus habe ich dann nie mehr verlassen», erzählte Talley einmal. «Meine Eltern waren sehr jung und hatten große Probleme, über die Runden zu kommen.» Talley verehrte seine Großmutter, die ihm auch den Sinn für Mode beibrachte. «Als Teenager habe ich mir dann erstmals die „Vogue“ gekauft, das war für mich der größte Luxus.»

Assistent von Andy Warhol

Talley studierte Französisch in North Carolina und zog dann nach New York. Mit der früheren «Vogue»-Chefin Diana Vreeland arbeitete er am Kostüm-Institut des Metropolitan Museums und lernte schnell die Szene der Millionenmetropole kennen. «Ich war bei der ersten und der letzten Party im Studio 54.» Er wechselte zum «Interview»-Magazin, wurde persönlicher Assistent von Andy Warhol und zog jeden Abend mit ihm und seiner Clique um die Häuser, während er gleichzeitig noch völlig unglamourös in der Studentenherberge YMCA wohnte. Vreeland blieb bis zu ihrem Tod 1989 seine beste Freundin. Oft besuchte er sie in ihrer Luxus-Wohnung auf der Park Avenue und las ihr vor. «Sie und meine Großmutter starben dann im selben Jahr. Das war sehr hart für mich.» Diese beiden Frauen hätten ihn zu dem Mann gemacht, der er geworden sei.

Talley arbeitete in Paris und New York für verschiedene Mode-Magazine und interviewte Berühmtheiten wie den Schriftsteller Truman Capote und den Modedesigner Karl Lagerfeld, die zu Freunden werden. «Als ich Lagerfeld zum ersten Mal interviewt habe, bat er mich in sein Schlafzimmer und begann, mich mit Hemden zu bewerfen. Die habe ich noch jahrelang zur Arbeit angezogen.» Auch seine «Vogue»-Chefin Anna Wintour wurde zur engen Vertrauten. «Ich war bei ihrer Hochzeit und sie hat mir den Brautstrauß gegeben. Von Anna habe ich viel gelernt: Sei schnell, treffe Entscheidungen und bleibe dabei.»

Mit beiden aber zerstritt er sich später – und zeigte sich frustriert, enttäuscht und verletzt. Lagerfeld habe «eine Tendenz dazu gehabt, Menschen, die er liebte, aus seinem Leben zu verbannen». Wintour sei zu «einfacher menschlicher Liebenswürdigkeit (…) nicht fähig». Auch auf sich selbst schaute Talley in seiner Autobiografie traurig zurück: «Liebe hat es in meinem Leben auf keinerlei Art und Weise gegeben.»

Von Christina Horsten, dpa