Die zentrale Frage ist eine der unergründlichsten im Roman: Wer oder was ist denn nun jene geheimnisvolle Rose?
Mit dem lateinischen Satz «Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus» beendet Umberto Eco vor vier Jahrzehnten seinen Weltbestseller «Der Name der Rose» – und lässt viele wohl fragend zurück. Übersetzen lässt sich der Vers zwar mit: «Die Rose von einst steht nur noch als Name, uns bleiben nur nackte Namen.» Aber was soll das heißen?
Denn jene bedeutungsvolle Rose aus dem Titel spielt im Roman gar keine besondere Rolle. Vordergründig geht es um die bizarre Mordserie in einer mittelalterlichen Benediktinerabtei in Italien, der nach und nach ein halbes Dutzend Mönche zum Opfer fallen. Der gelehrte Franziskaner William von Baskerville (angelehnt an Sherlock Holmes und «Der Hund von Baskerville») und sein Novize Adson (unübersehbar: die namentliche Nähe zu Dr. Watson) sollen das Geheimnis lüften – und werden dabei in die schrecklichen Ereignisse hineingezogen.
Lars Gustafsson: Ecos Buch ist Universalkunstwerk
Doch der 2016 gestorbene Italiener weitet in seinem Debütroman den Blick weit über den Kriminalfall hinaus: auf philosophische und theologische Dispute im Mittelalter, auf die Konkurrenz zwischen Christenheit und Ketzerei, Armut und Reichtum, Wissen und Glauben. Ecos Buch sei «die Verwirklichung eines Traumes der Romantiker: Es ist ein Universalkunstwerk», schreibt Schriftsteller Lars Gustafsson im «Spiegel», als der Wälzer im Herbst 1982 auf Deutsch erscheint.
Nach der Veröffentlichung von «Il nome della rosa» in Ecos Heimat zwei Jahre zuvor brach eine regelrechte Mittelalter-Manie aus. Seitdem ging der Roman weltweit mehr als 50 Millionen Mal über die Ladentheke. Die Verfilmung von Oscar-Preisträger Jean-Jacques Annaud mit Sean Connery als Bruder William und Christian Slater als sein Novize wird 1986 zum Kino-Blockbuster. Eine achtteilige Serie mit dem Deutschen Damian Hardung («How to Sell Drugs Online (Fast)») als Adson und Rupert Everett als Inquisitor wird 2019 ausgestrahlt.
Eco: «Ich hasse dieses Buch»
Über seine Roman-Idee, die er ab Frühjahr 1978 angeht, schreibt Eco: «Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften.» Von der Gegenwart wisse er nur aus dem Fernsehen, so der Schriftsteller, über das Mittelalter habe er «Kenntnis aus erster Hand». Auch wenn er Jahre später «ich hasse dieses Buch» sagen wird, so bringt ihm bereits sein Erstling den Ruf eines glänzenden Romanciers ein.
Bis dahin ist der auf die Kunst und Philosophie des Mittelalters spezialisierte Kultur- und Erzähltheoretiker eher in Fachkreisen bekannt. Der Professor für Semiotik gilt als einer der wichtigsten Vertreter jenes wissenschaftlichen Orchideenfachs, das der Bedeutung von Zeichen etwa in Bildern oder der Sprache nachgeht.
Das spiegelt sich auch in «Der Name der Rose» wider. Über Indizien, Ideen und Spuren kommen der pragmatische Angelsachse William und sein Novize der Wahrheit Schritt für Schritt näher: Wer ist als Mörder auszuschließen, wer macht sich verdächtig? Wo ist das Motiv? Und wie nur lässt sich das vertrackte Bibliothekslabyrinth entschlüsseln, das sich immer mehr ins Zentrum der Verbrechensserie schiebt?
Auch abseits der Tätersuche setzt Eco Zeichen und Hinweise. Den blinden Bibliothekar Jorge von Burgos etwa benennt er nach seinem Autoren-Vorbild Jorge Luis Borges. Das Rätsel um das mysteriöse Komödien-Buch des Aristoteles zielt auf die Debatte über das verschollene Werk des griechischen Denkers. Und die aufrührerischen Ketzer können als Schablone gelesen werden für die kommunistischen Terroristen der Roten Brigaden im Italien der 70er und 80er Jahre.
«Ecos Freude an seiner Erzählung berührt den Leser, der sich von den Interpretationsebenen, die sich wie in einem semiotischen Labyrinth vor ihm kreuzen, faszinieren lassen kann oder auch nicht», heißt es damals vom Rezensenten der «New York Times». Wem es nach Metaebenen, literarischen Querverweisen oder Anspielungen auf Philosophie, Kultur und Religion gelüstet, wird am Roman seine wahre Freude haben.
Neu-Ausgabe zum Jubiläum
Zum baldigen Jubiläum der deutschen Übersetzung von Burkhart Kroeber erscheint am Montag (14. Februar) eine Neu-Ausgabe. «Der Text bleibt ein literarisches Spiegelkabinett, in dem hier und da wie zufällig eine blutüberströmte Leiche liegt», schreibt der Historiker Philipp Blom in seinem Nachwort. «Aber es ist nicht notwendig, aus dieser schillernden Mehrdeutigkeit gewaltsam Eindeutigkeit zu schaffen.»
Und so ist es auch mit der ominösen Rose. Viele haben sich an einer Interpretation versucht. In der deutschen Ausgabe gibt es einen Wink in Richtung des namenlosen Mädchens, mit dem Adson ein Tête-à-Tête verbindet. Es sei «vielleicht die Rose», heißt es. Eco selbst weist darauf hin, dass sein lateinischer Schlusssatz abgewandelt ist von einem Vers des mittelalterlichen Benediktiners Bernhard von Cluny. Dieser hatte «Roma» (also die Stadt Rom) anstatt «rosa» formuliert und damit auf die Vergänglichkeit irdischer Schätze verwiesen, von denen nur noch «nackte Namen» blieben.
Bei Eco wird die Blume zum Symbol der physischen Vergänglichkeit, die nur in Worten oder als Zeichen überlebt. «Die Rose ist eine Symbolfigur von so vielfältiger Bedeutung, dass sie fast keine mehr hat», so der Italiener. Auflösung? Fehlanzeige. «Ein Titel soll die Ideen verwirren», erklärt Eco, «nicht ordnen».