Wiener Theater wagt sich an Tom Stoppards Familiengeschichte
Schauspieler stehen während einer Probe des Stücks «Leopoldstadt» auf der Bühne im Theater in der Josefstadt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Moritz Schell/THEATER IN DER JOSEFSTADT/APA/dpa)

Der britische Autor Tom Stoppard erzählt in seinem jüngsten Stück «Leopoldstadt» die Geschichte der Juden in Wien über mehrere Generationen hinweg.

Zwei Jahre nach der Londoner Uraufführung ging das Theater in der Josefstadt am Donnerstag ein Wagnis ein: die deutschsprachige Erstaufführung vor einem Wiener Publikum, dem diese Historie größtenteils bekannt ist.

Dass das Stück des 84-jährigen Oscarpreisträgers («Shakespeare in Love») hier dennoch mit Betroffenheit und Wohlwollen aufgenommen wurde, hat viel damit zu tun, dass er seine persönliche jüdische Geschichte einfließen ließ. Das Ergebnis: Weder ein Stück über Nazis oder die direkten Opfer des Holocausts, sondern über die Überlebenden, die ihre Verwandten und somit einen Teil ihrer Herkunft verloren.

Im Zentrum des Stücks in der Übersetzung von Daniel Kehlmann («Die Vermessung der Welt») stehen der vom Judentum zum Katholizismus konvertierte Textilfabrikant Hermann Merz (Herbert Föttinger) und seine Verwandten. Im Jahr 1899 verkehren sie mit dem Dramatiker Arthur Schnitzler, dem Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, und dem Maler Gustav Klimt – doch sie werden diskriminiert. Der Regisseur Janusz Kica und das 31-köpfige Ensemble spannen danach den Bogen bis 1938, als die Familie von den Nazis aus ihrer Wohnung geworfen wird und überlegt, wieder in den jüdisch geprägten Wiener Bezirk Leopoldstadt zu ziehen.

Nach dem Holocaust

In der berührenden letzten Szene treffen sich drei Überlebende im Jahr 1955. Zu ihnen gehört Leo (Tobias Reinthaller), der als Junge nach England emigrierte und sich nicht mehr an die toten Verwandten erinnern kann.

Stoppard selbst entkam als Kind mit seiner Familie aus der heutigen Tschechoslowakei und gelangte nach Großbritannien, wo er seine jüdische Identität weitgehend ablegte und nicht wusste, wie viele Familienmitglieder im Holocaust getötet worden waren. «Es dauerte viele Jahre, bevor ich begann, mir vorzuwerfen, dass ich ohne Geschichte lebe», erzählte er vor der Premiere der Deutschen Presse-Agentur. Seine Entscheidung, doch zu seinen Wurzeln zurückzukehren, wurde in Wien mit vereinzeltem Schluchzen und langem Applaus bedacht.