Immer noch in Topform: Gene Simmons (l) und Paul Stanley von Kiss heizen Dortmund ein. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd Thissen/dpa)

Bei Gene Simmons löst die letzte Tournee mit Kiss gemischte Gefühle aus. «Es macht mich gleichermaßen glücklich und traurig», sagt der Bassist und Sänger der legendären US-Hardrock-Band der Deutschen Presse-Agentur, kurz bevor das erste Konzert der Europa-Tour in Dortmund beginnt.

«Man muss wissen, wann man von der Bühne abtreten muss. Und wir haben zu viel Respekt vor uns selbst und vor den Fans, um zu lange auf der Bühne zu bleiben.»

Es ist kurz nach 21.00 Uhr, als in der ausverkauften Westfalenhalle 1 die Batterien von Lautsprechern zu dröhnen beginnen. «Alright, Dortmund!» Unter dem Jubel von 11.500 Fans, viele in Kiss-Shirts, erklingen dann auch die berühmten Worte, die vor jedem Kiss-Konzert aus den Boxen schallen: «You wanted the best, you got the best», brüllt ein Anheizer mit bäriger Stimme, «the hottest band in the world: Kiss!»

Feuerwerk und Flammen

Ein lauter Knall, der Vorhang mit dem Bandlogo fällt – dann landen Simmons, Co-Frontmann und Gitarrist Paul Stanley sowie Leadgitarrist Tommy Thayer auf der Bühne. Unter einem Regen von Feuerwerk werden sie auf Plattformen hinuntergelassen, während sie ihren Kracher «Detroit Rock City» spielen. Schlagzeuger Eric Singer trommelt dabei auf einer Hebebühne. Stichflammen schießen in die Höhe. Der exzessive Einsatz von Pyrotechnik und Feuer ist bei Kiss-Konzerten Standard.

Die Band hat sichtbar Spaß in Dortmund, wo sie 1980 zum ersten Mal auftrat und jetzt zum sechsten Mal spielt, wie Stanley alias «Starchild» berichtet. Der 70-Jährige ist erstaunlich gut bei Stimme. «Wir haben eine großartige Zeit», schwärmt er im dpa-Interview. «Und es ist keine Beerdigung, es ist eine Feier.» Trotzdem ist dem Sänger bewusst, dass nach fast 50 Jahren bald Schluss ist. «Ich bin mir sicher, dass es sehr viel realer wird, wenn wir uns dem Ende nähern.»

Terminplan wegen Corona überarbeitet

Schon 2019 hatten sich Kiss auf ihrer «End Of The Road»-Tour von den deutschen Fans verabschiedet. Als die Welttournee wegen der Pandemie für anderthalb Jahre unterbrochen werden musste, wurde der Terminplan überarbeitet und weitere Konzerte in Europa hinzugefügt. In den kommenden Wochen treten Kiss in Hamburg, Frankfurt und Stuttgart auf.

Promoter, Freunde und Fans hatten sich laut Simmons beschwert. «Die haben gesagt: „Ihr habt nicht in Dortmund gespielt, ihr müsst herkommen!“», erzählt der 72-Jährige, der für seine lange Zunge berühmt ist und während des Konzerts Feuer und (künstliches) Blut speit. «Wir können nicht in jeder Stadt der Welt spielen, das dauert zu lange. Aber vielleicht noch ein Jahr auf Tour und dann hören wir damit auf. Wir machen es nur, solange wir noch gut sind.»

Rocker in Topform

Zum Auftakt der knapp zweimonatigen Europa-Tournee präsentieren sich die New Yorker, die im nächsten Jahr 50. Band-Jubiläum feiern, in Topform. Neben dem Eröffnungssong werden Klassiker wie «Shout It Out Loud», «Lick It Up» oder «Calling Dr. Love» besonders lautstark mitgegrölt. Zu «Love Gun» gleitet Stanley an einem Drahtseil über das Publikum. Auf einer Plattform mitten im Innenraum singt er auch den großen Discohit seiner Band, «I Was Made For Loving You».

Was werden Kiss vermissen, wenn die Tour vorbei ist? «Natürlich die Zuschauer und die Kameradschaft zwischen uns und unseren Fans», sagt Stanley. «Es gibt nichts Vergleichbares.» Auch Simmons wird das Publikum nach eigener Aussage fehlen. «Wenn man auf der Bühne steht, kann man fast verstehen, warum jemand der Papst sein möchte», scherzt der 72-Jährige. «Es gibt kein vergleichbares Gefühl.»

Am Ende noch die Hymne «Rock And Roll All Nite»

Nach drei Zugaben und insgesamt 23 Songs geht das Konzert in Dortmund wie üblich mit der Hymne «Rock And Roll All Nite» zu Ende. Konfetti regnet in Tausende Bierbecher, während die Fans beseelt mitsingen. «Kiss loves you, Dortmund», steht auf den großen Bildschirmen.

Wenn sich am Terminplan nichts mehr ändert, werden Kiss im Oktober im kalifornischen Sacramento ihr allerletztes Konzert spielen. Das wird dann selbst dem coolen Gene Simmons, auch bekannt als «The Demon», nahe gehen. «Am letzten Tag wird es sehr emotional werden», räumt der Rocker ein. «Ich werde weinen wie ein zwölfjähriges Mädchen.»

Von Philip Dethlefs, dpa