Lucy Wasensteiner, Direktorin der Liebermann-Villa am Wannsee, zeigt ihr Lieblingsgemälde «Am Strand von Noordwijk» (1908). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Paul Zinken/dpa)

Wer Liebermann mag, kann erstmal nicht viel falsch machen. Nur wenige deutsche Maler von internationalem Renommee vereinigen so viele bedeutende künstlerische Eigenschaften in sich: mit Furor im Naturalismus gestartet, zu einem der wichtigsten deutschen Impressionisten entwickelt, dabei kaum ein Sujet gescheut, selbst als Sammler und Berater aktiv und dann noch den Kunstbetrieb mächtig aufgewühlt.

Am 20. Juli vor 175 Jahren wurde Liebermann geboren. Zwei Liebermann-Kenner erläutern im Gespräch mit der dpa an wichtigen Gemälden, was Max Liebermann (1847-1935) durch seine Arbeiten auch heute noch zu sagen hat.

Den Weg zu Liebermann finden? «Wenn’se nach Berlin reinkommen, gleich links», beschreibt es der Maler selbst. Neben dem Brandenburger Tor steht das – im Krieg zerstörte, nach dem Mauerfall wiederaufgebaute – Haus Liebermanns. Weil ihm Berlin «schmutzig und zerlumpt» erscheint, lässt er 1910 die Villa am Wannsee bauen. Die Idylle diente zudem als Ersatz für seine über Jahrzehnte geliebten Holland-Reisen, die er mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs einstellt.

Der Impressionist am Strand

In der Liebermann-Villa ist Lucy Wasensteiner Direktorin. Aus der aktuellen Ausstellung «Küste in Sicht!» hat sie sich Liebermanns «Am Strand von Noordwijk» von 1908 ausgesucht. «Die Bilder sind für uns sehr interessant, weil sie die unmittelbaren Vorläufer der Wannsee-Bilder sind», sagt Wasensteiner, «man kann in diesen Bildern schon ganz deutlich den Glauben an den Impressionismus sehen.» Wo es in den Jahren zuvor noch naturalistischer zugeht, fangen nun zarte Pastellstriche Farben und Licht der Strandlandschaft ein.

Liebermann malt die Szene mehrmals: an einem heißen Tag, dann mit mehr Frische und Wind. «Er nimmt die Staffelei mit nach draußen an den Strand.» Die Malerei «en plein air» gehört zu einem Kennzeichen des Impressionismus. Für Liebermann ist das nach seinen Worten keine Stilrichtung, sondern «Weltanschauung».

Wasensteiner sieht Liebermann «in dieser Phase wirklich als einen europäischer Künstler», er schaue nach draußen, befasse sich nicht nur mit Berlin, fahre nach Holland, übernehme Techniken aus Frankreich. Sie setzt das Strahlen dieser Arbeiten ins Verhältnis zu späteren Entwicklungen wie Erster Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Nationalsozialismus. Aus den Bildern spricht für sie «eine wichtige Lektion für heute: wie schnell das gehen kann und wie man da aufpassen muss».

Liebermanns Weg braucht seine Zeit: der Sohn wohlhabender Industrieller in Berlin entdeckt früh sein Interesse an der Kunst. Ein Alibi-Studium der Chemie bricht er ab, um sich in Weimar mit Landschaftsmalerei zu befassen. Alltagsszenen, das Leben einfacher Menschen begegnen ihm später in Düsseldorf. Während seiner ersten Reise in die Niederlande bleibt dieses Sujet.

Ruf als «Armeleutemaler»

«Die Gänserupferinnen» sind 1872 ein bahnbrechendes Ergebnis. Die realistische Darstellung einer bäuerlichen Szene um die Verarbeitung lebender und toter Tiere verschafft ihm den Ruf als «Maler des Hässlichen» und «Armeleutemaler». Den Erfolg hält das kaum auf. Der junge Künstler aus reichem Haus bringt mit seinen Bildern Szenerien einfachster Menschen in bourgeoise Lebenswelten. Liebermann ist «die gut gemalte Rübe lieber als die schlecht gemalte Madonna».

In Paris sucht er ersten Kontakt zu französischen Impressionisten, in München bringt ihm sein naturalistisches Bild «Der zwölfjährige Jesus im Tempel» den Vorwurf «Herrgottsschänder» ein. 1884 kehrt der Künstler zurück in seine Geburtsstadt. Hier wird er Kopf der Berliner Secession: Die Bewegung steht in Opposition zur tradierten Malschule der Akademie, die Liebermann dann später nicht nur aufnimmt, sondern auch zum Präsidenten macht.

Der Maler ist auch Berater und sammelt selbst, allein 17 Bilder von Edouard Manet gehören ihm. Die Nationalgalerie in Berlin verdankt seinen Hinweisen und Kontakten zahlreiche Werke etwa französischer Impressionisten.

Viele dieser Stationen lassen sich in der Alten Nationalgalerie nachvollziehen, die 22 Gemälde Liebermanns in ihren Beständen hat. Etwa auch «Die Gänserupferinnen». Direktor Ralph Gleis führt vorbei an der sozialen Realität des Bildes zu seinem Lieblings-Liebermann, dem «Stevenstift in Leiden» von 1889.

Gleis sieht darin «ein Scharnierwerk in seinem Oeuvre». Zwei alte Frauen am Rand sind noch vergleichsweise naturalistisch dargestellt. Gleis verweist auf einen Käfig darüber. «Die Vögel sind eigentlich nur zwei kleine, gelbe Tupfer, im Hochziehen der Farbe modelliert er das noch.» Über die geordnete Architektur eines Weges in der Mitte geht Liebermann in der rechten Bildhälfte über ins «Chaos der Vegetation» eines Gartens, «hier tobt er sich malerisch komplett aus». «Da hat er wirklich modelliert mit der Farbe, das ist ein dreidimensionales Kunstwerk.» Diese Technik wird Jahre später seine bekannten Arbeiten aus dem Garten am Wannsee bestimmen, wo mehr als 200 Bilder von Blumen, Beeten, Haus, See entstanden.

Für Gleis rührt Liebermanns Beliebtheit daher, «dass er als einer der ersten deutschen diesen französischen Stil des Impressionismus aufgenommen hat». Dieser wichtige Kunststil sei heute konsensfähig. «Die Maler haben sich das damals nie erträumt», sagt Gleis. Was einst als revolutionär galt, «ist heute der größte Wohlfühlkonsens, wenn man Kunst betrachtet».

Er verabscheut die Nazis

Entsprechend ist das Liebermann-Jubiläum vielerorts Thema. In Darmstadt und Düsseldorf war gerade ein Blick auf den europäischen Künstler zu sehen. Auf Föhr widmet sich das Museum Kunst der Westküste der Provenienzgeschichte einer Ölstudie Liebermanns. Berlin zeigt «Küste in Sicht!» in der Liebermann-Villa, am Brandenburger Tor geht es um «Liebermanns Welt», die Alte Nationalgalerie hat mit «Mein Liebermann» eine Hommage mit sehr unterschiedlichen Sichten auf den Künstler zusammengestellt.

Den stets wach beobachtenden Liebermann würden wohl auch heutige Entwicklungen wie Antisemitismus, selbst ernannte Querdenker oder sich radikalisierende Rechtsextreme umtreiben. Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 findet er klare Worte: «Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.» Der Jude Liebermann zieht sich bis zu seinem Tod 1935 ins Private zurück. Seine Frau Martha Liebermann vergiftet sich acht Jahre später selbst vor einer Deportation ins Konzentrationslager Theresienstadt.

Von Gerd Roth, dpa