Die Rolling Stones 1969 im Hyde Park. (Urheber/Quelle/Verbreiter: UPI/dpa)

Keith Richards hat gute Erinnerungen an den 12. Juli 1962. «Ich weiß noch, wie ich das Gefühl hatte, dass ich in einem großen Stadion spiele», erzählte der Rolling-Stones-Gitarrist der Deutschen Presse-Agentur. «Das Marquee war ungefähr der größte Club in London zu der Zeit. Und wir hatten vorher im Prinzip nur in Garagen gespielt.»

60 Jahre ist der historische Auftritt im Marquee Club nun her, bei dem die Band erstmals als «The Rollin‘ Stones» auftrat, angeblich sogar als «Mick Jagger and The Rollin‘ Stones». Dieser Abend im Londoner Stadtteil Soho war der Startschuss für eine unvergleichliche Rock’n’Roll-Karriere, die bis heute andauert.

Noch immer voller Energie

Gerade erst absolvierten die Stones im Rahmen ihrer «Sixty»-Jubiläumstour zwei Konzerte im Londoner Hyde Park vor jeweils 65.000 Menschen. Nach dem Tod ihres Drummers Charlie Watts im vergangenen Jahr präsentierten sich die überlebenden Stones Mick Jagger (78), Richards (78) und Ronnie Wood (75) in ihrer Heimatstadt immer noch voller Energie.

Im Sommer 1962 waren weder Wood noch Watts dabei. «Wir schummeln ein bisschen», befand Jagger 2012 zum 50. Jubiläum im Magazin «Rolling Stone». «Denn es ist ja nicht dieselbe Band, aber immer noch derselbe Name. Nur Keith und ich sind noch dieselben Leute.» Die junge Band bestand aus Jagger (Gesang), Richards (Gitarre), Brian Jones (Gitarre), Ian Stewart (Klavier) und Dick Taylor (Bass).

Wer saß am Schlagzeug?

Darüber, wer im Marquee am Schlagzeug saß, wird bis heute diskutiert. Mitunter ist zu lesen, dass es Tony Chapman war, der damals häufig für die Gruppe trommelte. Laut Keith Richards und Stones-Biograf Christopher Sandford war es Mick Avory. Fotos, die das klären könnten, gibt es offenbar nicht. Watts, der sich schon im Dunstkreis seiner späteren Kollegen bewegte, stieß ein halbes Jahr später dazu, gab den Rolling Stones ihren Rhythmus und spielte fortan auf jedem Album der Gruppe. Wood folgte erst 1975.

Den ersten Auftritt verdankten die Rolling Stones ihrem Weggefährten und Unterstützer Alexis Korner und dessen Band Blues Incorporated, die jeden Donnerstag im Marquee auftraten. Weil Korner eine Einladung der BBC annahm, wurde ein Ersatz für ihn gesucht. Jones soll den Inhaber des Marquee – damals ein Jazzclub – überzeugt haben, die Stones spielen zu lassen. Der Legende nach kam er dabei auch spontan auf den Bandnamen, inspiriert von Muddy Waters Song «Rollin’ Stone».

Rhythm-and-Blues-Klassiker im Programm

Frühe Stones-Hits wie «(I Can’t Get No) Satisfaction», «Get Off Of My Cloud» oder «Paint It Black» lagen da noch in der Zukunft. Und so gaben Jagger und Co. eine knappe Stunde lang amerikanische Rhythm-and-Blues-Klassiker zum Besten. In seiner Autobiografie «Life» erinnert sich Richards an «Dust My Broom» (Elmore James), «Got My Mojo Working» (Muddy Waters) und «Confessin’ The Blues» (Jay McShann), das einige Jahre später auch auf der Stones-EP «Five By Five» landete.

Dem Vernehmen nach erlebten die gut 100 unbeeindruckten Marquee-Gäste an jenem Abend noch nicht Jaggers Tanzbewegungen, die heute ebenso ikonisch sind wie das 1970 entwickelte «Tongue and Lips»-Logo der Band. Der erst 18 Jahre alte Gitarrist Richards galt auch noch nicht als Personifizierung des Rock’n’Roll und trat fast förmlich in einem dunklen Anzug auf. Die Musiker, die für den Auftritt rund fünf Pfund pro Person erhielten, sollen nervös gewirkt haben.

Niemand konnte vorhersehen, dass aus dieser unerfahrenen Band eine der berühmtesten und erfolgreichsten Rockgruppen werden würde, ein Popkultur-Phänomen und eine Weltmarke, die 60 Jahre später Fans rund um den gesamten Globus begeistert. Auch die Rolling Stones selbst hatten an jenem 12. Juli keine Ahnung, aber immerhin ein Gefühl.

«Man spielt und denkt: Oh yeah!», erinnerte sich Keith Richards in seiner Autobiografie. «Dieses Gefühl ist mehr wert als alles andere. Da ist dieser bestimmte Moment, wo du merkst, dass du den Planeten ein wenig verlassen hast, niemand kann dich berühren. Das ist wie Fliegen ohne Führerschein.»

Von Philip Dethlefs, dpa