Das Bayreuther Publikum kann gnadenlos und mitunter unfair sein, das ist kein Geheimnis. Doch einen solchen Proteststurm haben die Richard-Wagner-Festspiele zuletzt selten erlebt: Die Neuproduktion des «Ring des Nibelungen» wird am Freitagabend nach der Premiere der «Götterdämmerung» von weiten Teilen des Publikums minutenlang wütend und gnadenlos niedergebuht.
Als das Team um Regisseur Valentin Schwarz sich den Zuschauern zeigt, erhebt sich lautstarker und in der Heftigkeit nicht gerechtfertigter Protest. Diejenigen, die versuchen, mit Applaus und Bravos dagegen zu halten, gehen unter.
Aufblitzendes Talent
Vier Opernabende lang hat Schwarz versucht, dem Publikum seine ganz eigene Sicht auf Wagners Figuren beizubringen, hat Herzblut hineingesteckt in liebevolle, bunte Ideen, hat sich begeistert für das Mammutwerk des Komponisten und sich bemüht, vielschichtige Menschen mit Ecken und Kanten zu zeigen. Immer wieder blitzte das Talent des jungen Österreichers dabei beeindruckend auf.
Doch die «Götterdämmerung» wird zu einem weitgehend desaströsen Opernabend. Das liegt in erster Linie an der ungezügelten und nicht nachvollziehbaren Wut, die sich bei vielen im Publikum in mehr als 15 «Ring»-Stunden angestaut zu haben scheint – und die dem etwas mitgenommen aussehenden Schwarz ungefiltert entgegen gebrüllt wird, als er auf die Bühne tritt.
Aber der Abend ist auch deswegen desaströs, weil Schwarz vor seinem eigenen, überaus ambitionierten Regiekonzept zu kapitulieren scheint – und es damit in Teilen selbst zerschlägt. Er zeigt eine erstaunlich konventionelle und streckenweise langatmige Interpretation vom Mord an Siegfried und der Rückkehr des Goldes zu den Rheinschwestern und verlässt dabei die schnörkellose, moderne Ästhetik, die die ersten drei Teile seiner Operninterpretation noch ausgezeichnet hat.
Konzept stößt an Grenzen
Schon bei den drei Nornen zu Beginn des ersten Aktes kommt Schwarz‘ Konzept an seine Grenzen. Er zeigt schillernde Fabelwesen und kommt damit gerade noch durch, weil er diese als Alptraum der (von Schwarz erfundenen) Tochter von Siegfried und Brünnhilde darstellt. Als im zweiten Akt dann aber die Hochzeit von Siegfried und Gutrune vor der Kulisse eines düsteren Maskenballs stattfindet, ist es um die coole Serienästhetik geschehen.
Daran ändert auch die klar an den Thriller-Klassiker «Sieben» angelehnte letzte Szene nichts, in der Brünnhilde – ähnlich wie einst Brad Pitt – den Kopf ihres treuen Ex-Freundes, den sie damals für Siegfried verließ, in einer Plastiktüte findet.
Andere Erzählstränge aus den ersten drei Teilen, die sich im «Siegfried» noch vielversprechend zusammenzufügen schienen, werden in der «Götterdämmerung» nicht mehr – oder zumindest nicht ohne weiteres erkennbar – aufgegriffen. Dadurch laufen Ideen ins Leere, führen im Verständnis der Figuren kaum weiter und wirken nach dem Ende der «Götterdämmerung» rückblickend beinahe beliebig.
Schwarz sprudelt so vor Ideen, dass er sie nicht genügend filtert und setzt dem ohnehin schon komplizierten Beziehungsgeflecht im «Ring» eine Meta-Ebene auf, die mehr Verwirrung als Klarheit stiftet. Dass in Schwarz‘ «Walküre» beispielsweise nicht Siegmund Siegfrieds Vater ist, sondern Hunding, scheint keine Konsequenzen zu haben und wird auch nicht weiter thematisiert. Und dass Siegfried und Hagen – wie im «Siegfried» gezeigt – eine gemeinsame Vorgeschichte haben, schon den Tod Fafners zusammen erlebten und die Befreiung Brünnhildes, das spielt in der «Götterdämmerung» leider keine Rolle mehr.
Musik lässt zu wünschen übrig
Größter Schwachpunkt der Inszenierung ist aber die Interpretation des Goldes, dieses Wagnerischen Sinnbildes für Gier. Denn im «Rheingold» ist dieses Gold, das der Drache Fafner sich unter den Nagel reißt, ein Junge, der sich schließlich als Hagen herausstellt.
Dass dieser Hagen dann als Heranwachsender am Krankenbett des greisen Fafners sitzt, gehört sicher zu den herausragenden Ideen von Regisseur Schwarz. Dass dieses «Rheingold» dann aber in der «Götterdämmerung» plötzlich nicht mehr Hagen ist, sondern eine Tochter von Siegfried und Brünnhilde, das scheinen viele im Publikum nicht mehr nachvollziehen zu können.
Und auch die Musik lässt zu wünschen übrig an diesem denkwürdigen Opernabend: Wenn sogar der Dirigent und die Hauptdarstellerin Buhs einstecken müssen in Bayreuth, wo das Publikum mit den Musikern immer deutlich gnädiger ist als mit der Regie, dann ist das bemerkenswert.
So ergeht es Cornelius Meister, der kurz vor dem Start des «Rings» für Pietari Inkinen am Pult eingesprungen und nach den ersten drei Teilen noch uneingeschränkt beklatscht worden war. Er muss sich nun mit durchwachsenen Reaktionen zufrieden geben für sein lautes und mitunter rücksichtsloses Dirigat, unter dem vor allem Iréne Theorin als Brünnhilde hörbar leidet. Die Sopranistin scheint sich ohnehin sehr schwer zu tun mit der Partie, singt mit starkem Vibrato, extrem flatternder Stimme, und droht immer wieder, vom Orchester übertönt zu werden. Dafür gibt es ungewöhnlich deutliche Buhs.
Uneingeschränkt gefeiert wird dagegen «Siegfried»-Einspringer Clay Hilley, der den kurzfristig erkrankten Stephen Gould ersetzt und am Vortag noch in Bari am Strand gelegen hat, wie der Pressesprecher der Festspiele, Hubertus Herrmann, sagt, als er den Zuschauern vor Beginn der Premiere die Umbesetzung mitteilt. Die stärksten Leistungen zeigen aber die beiden Bösewichte: Hagen (Albert Dohmen) und Gunther (Michael Kupfer-Radecky) werden für ihre überzeugende Leistung zu Recht gefeiert. Zwei Lichtblicke.