Inflation, hohe Heizkosten und Zukunftssorgen – da will der Buchhandel mit einem breiten Angebot neuer Romane einen Kontrapunkt im Reich der Phantasie setzen. «Ein gutes belletristisches Buch ist Eskapismus in seiner allerschönsten Form», sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs – als Eskapismus wird das Bedürfnis nach Flucht aus der Realität bezeichnet. Und Sachbücher seien hilfreich, um das aktuelle Geschehen sauber recherchiert einzuordnen, fügte Schmidt-Friderichs im Redaktionsgespräch der Deutschen Presse-Agentur hinzu.
Die Hoffnung auf einen Lesewinter in Deutschland hält die Branche am Leben, die zurzeit wie viele andere unter steigendem Kostendruck zu leiden hat. Im vergangenen Jahr konnten Buchhandlungen und Verlage ihren Gesamtumsatz zwar um 3,5 Prozent steigern. In diesem Jahr hat sich die Lage aber eingetrübt. So liegt der Buchmarkt in den zentralen Vertriebswegen einschließlich des Online-Handels in den ersten acht Monaten mit 1,0 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahresergebnis, um 2,5 Prozent unter dem Vor-Corona-Jahr 2019. Allein bei den Buchhandlungen vor Ort schwächte sich das Geschäft in den ersten acht Monaten im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um 9,5 Prozent ab.
Dem Buchhandel- und den Verlagen machen nicht nur steigende Energiekosten und Mieten zu schaffen, sondern auch der spürbare Papiermangel. Dazu trage auch der boomende Online-Handel bei, erklärt Schmidt-Friderichs: Weil die Papierhersteller die steigende Nachfrage nach Verpackungen bedienen und die Gewinnmargen in diesem Bereich besonders hoch sind, wird der Anteil der grafischen Papiere für den Buchdruck kleiner.
«Bücher sollen erschwinglich bleiben»
Der Spielraum, um auf diese Situation mit höheren Preisen zu reagieren, sei gering, sagt die Börsenvereinschefin. «Wir haben auch eine kulturelle Identität, einen bildungspolitischen Auftrag. Deswegen sollen Bücher auch weiterhin erschwinglich bleiben.»
Wenn am 19. Oktober die Frankfurter Buchmesse beginne, freue sie sich, dass auch viele Politiker die Messe besuchen wollten, sagte Schmidt-Friderichs. «Die Branche braucht diese Beachtung.» Sie sehe die Gefahr, dass die Situation der kleinen und mittelgroßen Buchhändler und Verlage in der jetzigen schwierigen Situation nicht genügend beachtet werde.
«Null Prozent Mehrwertsteuer wären die unkomplizierteste Form der Förderung», sagte die Branchenvertreterin mit Blick auf den bei Büchern bereits reduzierten Mehrwertsteuersatz. «Als mittelständisch geprägte Branche brauchen wir gezielte Entlastungsmaßnahmen, um unserem wichtigen gesellschaftlichen Auftrag weiter nachkommen zu können.» Ohne Unterstützung seien manche Buchhandlungen und Verlage in existenzieller Gefahr.
Der Anteil von E-Books am gesamten Bücherumsatz in Deutschland ist in der Corona-Pandemie nach Angaben des Börsenvereins zeitweise gestiegen, dann aber wieder auf nunmehr 5,7 Prozent zurückgegangen. «Die Erfahrung in der Pandemie war, dass die Menschen zum Buch gegriffen haben, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene, das hat richtig Hoffnung gemacht», sagte die Mainzer Verlegerin. Mit viel Engagement hätten Verlage und Buchhandlungen auch während der Pandemie Bücher zu den Menschen gebracht, unterstützt durch eine gut eingespielte Buchlogistik.
Branche froh über Buchmesse fast wie 2019
In diesem Jahr ist die Branche froh, dass die Buchmesse wieder fast so wie 2019 stattfinden kann. «Wir hatten uns vorgenommen, 55 Prozent der damaligen Ausstellungsfläche zu erreichen, jetzt sind wir bei 70 Prozent.» Rund 4000 Aussteller werden erwartet. «Da treffen sich Menschen aus 100 Ländern zum friedlichen Diskurs», sagte Schmidt-Friderichs. China wird nicht dabei sein, und der russische Nationalstand wurde ausgeschlossen. Dafür wird es eine große Fläche für 42 ukrainische Aussteller geben. «Auch der globale Süden wird seine Stimme bekommen.» So präsentiert sich erstmals der Gemeinschaftsstand «Africa Publishing Innovation Fund», der die afrikanische Verlagsbranche und Bibliotheksprojekte unterstützt.
Da die Buchmesse ein Spiegel der Gesellschaft sei, seien politische Diskussionen immer ein Thema auf der Messe, sagte Schmidt-Friderichs. «Die Messe steht für Diversität.» Sie lebe von der Vielfalt aller Beteiligten und einem demokratischen Austausch auf Augenhöhe im offenen Dialog.
Wichtig ist der Vorsteherin dabei ein respektvolles Miteinander. In diesem Jahr gibt es auf der Messe zum ersten Mal ein «Awareness-Team für alle Menschen, die sich auf der Messe diskriminiert oder ausgegrenzt fühlen». Koordiniert wird dies vom Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit mit einem Stand im Foyer der Halle 4.0 und Ansprechpartnern, die über die Messe laufen. Menschen können dort Vorfälle melden, die sie als diskriminierend erleben.
Für den Lesewinter stellt sich Schmidt-Friderichs vor, dass es auch mehr gemeinsames Lesen geben könnte – zum Beispiel mit der Einladung an Nachbarn und Freunde zu Vorlese-Abenden, die dann in dieser Zeit die Heizung ausschalten könnten. «Wenn eine Gesellschaft gut funktioniert, könnte sie dann auch in einer solchen Zeit zusammenrücken.»