Er ist einer der letzten lebenden US-Superstars des Rock, ein begnadeter Songwriter und einer, der als echter Arbeiter gilt. Seine stundenlangen Konzerte sind legendär.
Im kommenden Jahr wird Bruce Springsteen mit seiner E Street Band endlich wieder riesige Arenen und Stadien rund um den Globus bespielen. Vorher erfüllt sich der «Boss», wie ihn seine Fans nennen, mit «Only The Strong Survive» einen persönlichen Wunsch.
«Ich wollte ein Album machen, auf dem ich nur singe», erzählte der 73-Jährige im Pressetext zur Veröffentlichung seines 21. Studioalbums. «Und mit welcher Musik sollte das besser funktionieren als mit dem großartigen American Songbook der 60er und 70er Jahre?»
15 Soulperlen aus der goldenen Ära
Auf seinem neuen, stimmungsvollen Coveralbum widmet sich Springsteen überwiegend – aber nicht nur – den Soul- und R&B-Songs dieser goldenen musikalischen Ära, die er selbst als Teenager und junger Mann erlebte. Mit dem Starproduzenten Ron Aniello, mit dem er seit langem zusammenarbeitet, nahm er während des Lockdowns 15 sehr unterschiedliche Soulperlen auf, die perfekt miteinander harmonieren.
Den Albumtitel lieferte die gleichnamige Single aus dem Jahr 1968 von Jerry Butler. «Only The Strong Survive» war der größte Hit des einstigen Impressions-Sängers. Springsteen verpasst dem Song, auch durch seine charakteristische raue Stimme, etwas Rock’n’Roll-Wucht. Dasselbe gilt für «Do I Love You (Indeed I Do)» vom einstigen Motown-Produzenten Frank Wilson. Diese neue, mitreißende Version würde locker in ein Konzert der E Street Band passen – wie auch viele andere Lieder des Albums. Das Instrumentale ist moderner, kräftiger als bei den Klassikern. Das ist Soul im Springsteen-Sound.
Der Gesang steht im Mittelpunkt
Dobie Gray könnte langjährigen Springsteen-Fans ein Begriff sein. Dessen Riesenhit «Drift Away» coverte der «Boss» nämlich schon in den 80er Jahren bei seinen Konzerten. Jetzt hat er sich mit «Soul Days» einen Song von Gray aus den späten 90ern vorgenommen. Er singt ihn im Duett mit der 87 Jahre alten Soullegende Sam Moore.
Zu den wohl bekanntesten Liedern auf dem Album zählt «Nightshift» von den Commodores, das ursprünglich 1985 erschien – ein Jahr, nachdem Springsteen mit seinem Megaalbum «Born In The U.S.A.» Stadionstatus erreicht hatte. Statt Chorgesang sind bei Springsteens Version dezente Bläser im Hintergrund zu hören. Zu den Synthesizern gesellt sich die Hammond-Orgel. Aber der Star ist die Stimme.
«Während meines gesamten Arbeitslebens hat meine Stimme immer meinen eigenen Songs gedient – eingeschränkt durch meine Arrangements, meine Melodien, meine Komposition, meine Konstruktionen, meine Stimme kam immer erst an zweiter, dritter oder vierter Stelle», so Springsteen in einer Videobotschaft zum Album. «Jetzt habe ich Musik gemacht, die sich um den Gesang dreht.»
In seiner Autobiografie «Born To Run» von 2016 gab sich Springsteen noch übertrieben bescheiden, was seine stimmlichen Fähigkeiten angeht. «Meine Stimme genügt für den Job. Aber es ist das Instrument eines Gesellen, damit schaffe ich es niemals auf eine höhere Ebene.»
Sechs Jahre später folgt dank des neuen Albums jetzt eine andere Erkenntnis. «Als ich mir einige der Sachen angehört habe, die wir aufgenommen haben, hab ich gedacht: Meine Stimme ist ein Kracher!», so Springsteen. «Ich bin 73 Jahre alt und hab es immer noch drauf.» So viel Selbstlob sei ihm gestattet, denn es stimmt.
Leidenschaft und Liebe für den Soul
Jimmy Ruffins «What Becomes Of The Brokenhearted», «The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore» von Frankie Valli bzw. den Walker Brothers und «Someday We’ll Be Together» von Diana Ross und ihren Supremes sind weitere unsterbliche Ohrwurm-Balladen, denen der «Boss» mit viel Gefühl und Leidenschaft und seiner markanten Stimme seine eigene Note verleiht. Beim Temptations-Klassiker «I Wish It Would Rain» überrascht der 73-Jährige sogar mit scheinbar mühelosem Falsetto-Gesang.
Bei «Don’t Play The Song», das erst Ben E. King sang, bevor Aretha Franklin damit einen Hit landete, spricht er – anders als in den Versionen seiner Vorgänger – einige Textpassagen. Bei manchen Künstlern klänge sowas kitschig, nicht bei Springsteen, der die ganz großen Gefühle gewohnt packend und überzeugend vertont.
Er mag ein Rocker sein, doch der Soul lag ihm seit seiner Jugend im Blut und beeinflusste seinen Stil. Soul war in seiner Musik schon immer hörbar, zum Beispiel in Klassikern wie «Badlands» oder «Hungry Heart». «Only The Strong Survive» ist eine Soul-Platte und trotzdem unverkennbar ein Bruce-Springsteen-Album. Man höre sich nur sein inbrünstiges Intro bei «7 Rooms of Gloom» – ursprünglich von den The Four Tops – an. Da verschmelzen Rock und Soul zu einer unwiderstehlichen Mischung.
«Mein Ziel ist es, dass das junge Publikum die Schönheit und Freude erleben kann, so wie ich sie erlebt habe, als ich die Musik zum ersten Mal gehört habe», so Springsteen. «Ich habe versucht, ihnen allen und den fabelhaften Autoren dieser glorreichen Musik gerecht zu werden.» Mission geglückt. «Only The Strong Survive» ist eine mitreißende, vielseitige Zusammenstellung, noch dazu hervorragend produziert, auf der man Bruce Springsteen seine Leidenschaft und Begeisterung in jedem Song anhört. Das ist ansteckend und sorgt im düsteren Herbst für gute Stimmung.