Schon optisch machte es der Neue anders. Stehend trug König Charles III. seine Weihnachtsansprache vor. Für viele Briten war das ein ungewohntes Bild, waren sie es doch gewöhnt, seine Mutter Queen Elizabeth II. hinter ihrem Schreibtisch sitzen zu sehen. Vor allem aber inhaltlich setzte der 74-Jährige eigene Akzente. Im Gegensatz zur «ewigen Königin», die Probleme höchstens andeutete, macht Charles wenig Hehl aus seiner Meinung. Deutlich erwähnte er das Leid vieler Menschen, die kaum Lebensmittel und Energie bezahlen können.
Dank an das Gesundheitspersonal
Für Aufsehen sorgte, dass Charles explizit auch dem Gesundheitspersonal und den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst dankte – Berufsgruppen, die sich derzeit erbitterte Tarifkonflikte mit der konservativen Regierung liefern. War das ein Zeichen, was der Monarch selbst davon hält? Prompt warnten Kommentatoren, der König laufe Gefahr, sich politisch einzumischen. Das wäre gegen die Norm, geben sich britische Monarchen doch traditionell neutral. Der Sender Sky News fragte: «Überschreitet König Charles eine Grenze?»
Dass Charles – zumindest ein kleines Stück – vom Auftreten seiner Mutter abweichen würde, die für ihre disziplinierte Haltung bekannt war, hatten Beobachter erwartet. Im Königreich war Charles wiederholt mit eigenen Themen und Thesen aufgetreten. «Outspoken» sei er, hieß es, das lässt sich mit «unverblümt» oder «geradeheraus» übersetzen. So widersprach der Palast nicht einem Bericht, dass Charles sich im privaten Gespräch entsetzt gezeigt habe über das Regierungsvorhaben, illegal eingereiste Migranten ohne Prüfung ihres Hintergrunds nach Ruanda auszufliegen. Das war kurz vor dem Tod der Queen.
Der König zeigt seine Empathie
Auch als König ist er bereits mit einer wenig diplomatischen Äußerung aufgefallen. «Back again – dear oh dear» («Wieder da. Oh je, oh je»), begrüßte er die damalige Premierministerin Liz Truss zu einer Audienz. Truss‘ zahlreiche Kritiker lachten, andere wiederum betonten, der König habe die schwer kriselnde Regierungschefin aufmuntern wollen. Klar ist in jedem Fall: Eine solche Äußerung der Queen wäre – hätte es sie überhaupt gegeben – nie in die Öffentlichkeit geraten.
Nun also die Bemerkungen in der Weihnachtsansprache: Für die gezeigte Empathie erhielt Charles prompt Lob. «King of Caring», nannte ihn die Zeitung «Daily Express» – den «König der Fürsorge». Eine «königliche Botschaft von Liebe und Hoffnung» erkannte das Boulevardblatt «Daily Mail», und die «Times» lobte die Rede als «Geschenk» für geplagte Arbeitnehmer. Das positive Echo fügt sich in die ersten Eindrücke, die Charles hinterlassen hat, seit die Queen am 8. September starb.
Dass er an seinem längst anerkannten Einsatz für die Natur festhält, für den er einst als «grüner Idiot» verhöhnt wurde, fällt schon gar nicht mehr auf. Doch scheint sich Charles nicht allein auf Umwelt und Natur beschränken zu wollen.
Das könnte auch die öffentliche Meinung beeinflussen, kommentierte Stephen Bates, der frühere Royals-Reporter der liberalen Zeitung «Guardian». Die Rede habe die Werte gepredigt, die die Tories aufgegeben hätten. «Er lobte den Öffentlichen Dienst und die Freiwilligen und beschwor den mitfühlenden Konservatismus herauf, den die Regierung aus ihren Reihen und ihrer Rhetorik verbannt hat.» Nun sei klar, stellte Bates fest: Charles könne und werde seine Besorgnis äußern, auch wenn dies dem Kabinett nicht recht sei.
Die Royal Family als geschlossene Front?
Bleibt nur eine Hürde: die Familie. Charles‘ Bruder Prinz Andrew, wegen seiner Verwicklung in einen Skandal um sexuellen Missbrauch seit langem in Ungnade gefallen, wird von Charles zunehmend aus dem Palast gedrängt. Weniger einfach zu regeln dürfte für Charles der Streit mit seinem jüngeren Sohn werden. Die Vorwürfe, die Prinz Harry und seine Ehefrau Herzogin Meghan jüngst in einer Netflix-Serie erneut auf den Tisch brachten, scheinen an der Royal Family abgeprallt zu sein.
Nun rüstet sie sich für Harrys Memoiren, die am 10. Januar erscheinen und viel mehr Sprengstoff bieten sollen. Auch hier dürfte ein gemeinsames Auftreten der Schlüssel sein, meinen Experten. Und die Zeitung «Telegraph» kommentiert: «Der Erfolg des ersten Jahres des Königs wird weitestgehend davon abhängen, ob seine unter Beschuss stehende Familie eine geschlossene Front bilden wird.»