Marokko 1968: Ein Land, das zwischen einer nach Freiheit strebenden Jugend und dem autoritären Regime von Hassan II. zerrissen ist. Ein Land, in dem die Reichen die Armen hinter Mauern verstecken. In «Schaut, wie wir tanzen» führt Leïla Slimani die Geschichte des nordafrikanischen Landes fort. Diesmal rollt die französisch-marokkanische Bestsellerautorin die Ereignisse von April 1968 bis August 1972 auf.
Nach «Das Land der Anderen», das 2021 auf Deutsch erschienen ist, greift die preisgekrönte Schriftstellerin und Journalistin die vom Leben ihrer Großeltern inspirierte Geschichte wieder auf. Wir treffen erneut auf Amine und Mathilde, die sich als junge Elsässerin in den marokkanischen Soldaten verliebt hat, der im Zweiten Weltkrieg in der französischen Armee kämpfte. Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und der Befreiung folgte sie ihm in sein Heimatland.
Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Die Kriegsjahre liegen hinter Mathilde und Amine. Aus dem kolonialen Marokko ist ein unabhängiges Land geworden. Die Zeiten, in denen das Paar während der Unabhängigkeitsbewegung Hass und Diskriminierung ausgesetzt war, sind vorbei. Die Belhajs haben es zu etwas gebracht. Aus der Farm in der Nähe von Meknès ist ein florierender Betrieb geworden, den Amine mit eiserner Hand führt. Seine Frau Mathilde arbeitet in ihrer ambulanten Krankenstation. Ihre Tochter Aïcha studiert Medizin in Straßburg und ihr Sohn Selim steht vor dem Abitur, doch schwimmt er lieber, statt zu lernen. Sie gehören zur guten Gesellschaft, die sich unter die wohlhabenden Franzosen mischen, die zurückgeblieben sind.
Slimani beschreibt in ihrer prägnanten und gleichwohl poetischen Sprache ein Marokko, in dem in den 1960er und 1970er Jahren alles möglich war. An der Küste zwischen Rabat und Casablanca herrschte Hedonismus und ungehemmter Genuss, im Hinterland archaische Traditionen.
Ein zerrissenes Land
Das Porträt der 41-Jährigen ist das eines Landes mit wachsender sozialer Ungleichheit, in dem die Marokkaner Paläste und Residenzen errichteten, die jenen der französischen Kolonisatoren in nichts nachstanden. Ein Land, das um seine eigene Identität kämpfte, das von Schein und Misstrauen besessen war. Eine Monarchie, in der Hassan II., der zwei Attentate überlebte, Studentendemonstrationen gewaltsam unterdrückte und seine Bevölkerung unerbittlich überwachte.
Ihre Protagonisten sind liebenswerte und vielschichtige Zeugen dieses ebenso kosmopolitischen wie repressiven Marokkos. Sie versuchen, sich an ein Land anzupassen, das zwischen seinem Emanzipationsdrang, der Starrheit der königlichen Macht und einer Gesellschaft in voller Revolution zerrissen ist. So haben Amine und Mathilde wider Willen alle Klischees der Bourgeoisie übernommen, wo der Mann seine Frau betrügt und sie sich in einer materiellen Bequemlichkeit tröstet.
Ihr sozialer Aufstieg betrifft auch den ihrer Kinder. So stehen Aïcha und ihr Bruder Selim, der an der Seite der Hippies sexuelle Freiheit und künstliche Paradiese entdeckt, symbolisch für diese sich emanzipierende, nach Freiheit und Veränderung dürstende marokkanische Generation.
Letzer Band ihrer Triologie
Meisterhaft verwebt Slimani auch hier wieder die kleine Geschichte mit der großen. Die Autorin verfällt in keine Schwarzweißmalerei. Sie wechselt mit bemerkenswerter Leichthändigkeit von einer Romanfigur zur anderen und stellt mit der gebotenen Differenziertheit und Distanziertheit ihre Widersprüche und Bestrebungen dar. Für den letzten Band ihrer Trilogie, der 2024 erscheinen soll, hat sich Slimani, die 1999 nach Paris gekommen ist, mit ihrer Familie nach Lissabon zurückgezogen.