Der Kontrast könnte kaum größer sein. Vor wenigen Monaten saß Boris Becker noch wegen Insolvenzstraftaten in einem Gefängnis in England ein. Nun steht die Tennislegende im Blitzlichtgewitter des Filmfestivals Berlinale, dort, wo sich dieser Tage Hollywoodgrößen wie Kristen Stewart, Anne Hathaway, Steven Spielberg oder Cate Blanchett die Klinke in die Hand geben. Sie alle wollten über Filme sprechen – auch Becker ist dafür nach Berlin gereist. Der Regisseur Alex Gibney hat eine Dokumentation über die Höhen und Tiefen seines Lebens gedreht. Premiere von Teil eins ist auf der Berlinale.
Kurz davor sitzt Becker auf einer Pressekonferenz und sagt, er hoffe, der Film zeige eine Seite von ihm, die man so noch nicht kennt. «Gerade in Deutschland wird es oft nicht zugelassen, dass der jüngste Wimbledon-Sieger aller Zeiten erwachsener geworden ist.»
Die Idee zu «Boom! Boom! – The World vs. Boris Becker» sei vor fünf Jahren entstanden. Niemand habe damals geahnt, was am Ende passieren würde. Für die Doku hat Gibney den Tennisstar 2019 interviewt und 2022, wenige Tage vor dessen Verurteilung in London zu zweieinhalb Jahren Haft. Laut Urteil hatte er seinen Insolvenzverwaltern Vermögenswerte in Millionenhöhe verschwiegen. Mitte Dezember war der Ex-Tennisstar nach 231 Tagen hinter Gittern freigekommen. Wie konnte es zu diesem Tiefpunkt kommen?
Stationen einer großen Sportlerkarriere
Bei dem Versuch, darauf Antworten zu finden, lässt die Doku noch einmal viele Stationen von Beckers Karriereaufstieg Revue passieren – und gibt vor allem seiner Sicht viel Raum. Was Becker zu sagen hat, ist nicht neu, in der Vergangenheit wurde es oft erzählt.
Es ist die Geschichte eines tennisverrückten Kindes, das mit 17 als jüngster Champion aller Zeiten die Trophäe in Wimbledon in den Händen hält. Becker wird zum Volkshelden, zum Teenager-Idol, das dem Tennissport in Deutschland zu einer nie da gewesenen Blüte verhilft.
Die Medien stürzen sich auf ihn, aus Boris Becker wird «Bum Bum Boris!», das «Bobbele». Aus dem Boulevard erfährt er, was Auflage macht: «Adolf Hitler, Deutsche Einheit, Boris Becker», sagt er im Film. Ein Hype, dem Becker machtlos ausgesetzt ist, und mit dem er nicht klarkommt. Vor allem dann nicht, wenn die Erfolge ausbleiben. Immer wieder spricht er im Film über fehlende Eigenständigkeit und den Kampf, diese zu erlangen. Und über den Druck, der auf ihm lastete, und der ihn letztlich in die Sucht nach Schlaftabletten treibt.
Eindrückliches Porträt eines Ausnahmetalents
«Das Leben als eine gewinnende Tennismaschine ist viel härter als es aussieht», sagt Becker am Sonntag. Man müsse immer funktionieren. Jeder Spieler habe einen Weg, mit diesen Erwartungen umzugehen. Er habe es besonders in Deutschland schwer gehabt. «Wenn ich nicht gewinne, versuchen besonders Deutsche, mich zu kreuzigen.»
Das alles könnten Erklärungsversuche für Beckers Absturz sein – eine eindeutige Antwort darauf, wie aus der Tennislegende ein verurteilter Straftäter werden konnte, gibt zumindest der erste Teil des Films nicht. Entstanden ist dagegen ein eindrückliches Porträt des Ausnahmetalents, das es mit eiserner Willensstärke immer wieder schafft, nach Niederlagen aufzustehen.
Eine Eigenschaft, die ihm auch nach seiner Zeit als aktiver Profi zugute gekommen sei. «Mein Leben als Tennisspieler hat mich auf meine Zeit im Gefängnis vorbereitet», sagt Becker. «Das einzige, was dich in einem Endspiel auf dem Tennisplatz in Wimbledon rettet, ist deine Einstellung.» Das Leben im Gefängnis sei dem sehr ähnlich. «Du weißt nie, was morgen um die Ecke kommt.»
Streckenweise wie ein Italo-Western
Der Film wird über weite Strecken erzählt wie ein Italo-Western. Oscar-Gewinner Alex Gibney («Taxi zur Hölle») inszeniert viele der gezeigten Tennisspiele als Shoot out, Gegner werden wie mit Steckbrief vorgestellt, zum Duell laufen die dramatischen Klänge von Ennio Morricones «L’arena». Der zeitweise zähe Film dürfte vor allem Tennisfans bis zum Ende fesseln.
Neben Becker kommen auch Weggefährten zu Wort, wie Beckers ehemaliger Manager Ion Țiriac oder die Ex-Profispieler Björn Borg und John McEnroe. Es rührt, wie die gealterten Tennisstars mit gegenseitigem Respekt voneinander sprechen, sich analysieren – und es amüsiert, wenn sie auch mal liebevoll übereinander herziehen.
Eine der besten Stellen im Film ist, wenn McEnroe von einem Match gegen Becker 1989 erzählt und ihm vorwirft, jahrelang bei Spielen künstlich gehustet zu haben, um seine Gegner zu irritieren. In dem Spiel fing McEnroe dann an, Becker zu imitieren.
Auf den Titel angesprochen – die Welt gegen Boris Becker – antwortet der Ex-Tennisstar, er wolle sich nicht über sein Leben beschweren. Er habe Fehler gemacht, wie vermutlich jeder andere auch. Dafür habe er einen hohen Preis bezahlt. Nun sei er froh, nach acht Monaten und sechs Tagen heil aus dem Gefängnis gekommen zu sein, «in Frieden und Freiheit». Er sei heute ein bisschen besser, ein bisschen klüger, ein bisschen demütiger. «Wir sollten uns alle bemühen, bessere Menschen zu sein», erklärt er. «Gelingt uns das jeden Tag? Ich glaube nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man.»