Der Eingang zum Bob Marley Museum in Kingston. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Nick Kaiser/dpa)

Viele der großen Reggae-Pioniere sind nicht mehr übrig. Allein in den vergangenen knapp drei Jahren sind Koryphäen wie Toots Hibbert, Lee «Scratch» Perry und Bunny Wailer gestorben. Bob Marley starb schon 1981 an Krebs, sein Bandkollege Peter Tosh wurde 1987 ermordet. Vor 50 Jahren standen beide im Mittelpunkt, als die jamaikanische Musikrichtung sich anschickte, die Welt zu erobern.

Die Sängerin Rita Marley, Bobs Witwe, sei nach einem Schlaganfall eingeschränkt, aber stark, erzählt Herman Davis, genannt Bongo Herman. Der 79 Jahre alte Perkussionist sitzt in einer Bude auf dem Gelände des Bob Marley Museum in Kingston. Um ihn herum hängen Fotos, etwa von ihm beim Fußballspielen mit Marley und beim Trommeln mit Prinz Charles, Zeitungsausschnitte – eine Überschrift nennt ihn einen «Perkussions-Maestro» – und Platten und Souvenirs, die er verkauft.

Ein Halt bei Herman ist Teil der Museumsführung. Er gibt den Touristen einen Crashkurs im Spielen von Instrumenten mit Namen wie Cabasa, Vibraslap und Shaker. In Patois-lastigem Englisch erzählt er von seinem Auftritt als Breakdancer im Film «Rockers» von 1978.

Herman hat mit vielen Reggae-Größen mal zusammengespielt – auch mit Marley. Dessen Gruppe The Wailers – die im Kern aus ihm, Peter Tosh und Bunny Wailer bestand – war in ihrer Heimat Jamaika bekannt, noch bevor der Reggae um 1968 als Musikrichtung entstand. Doch auf der seit 1962 von Großbritannien unabhängigen Karibikinsel konnte man damals nicht von der Musik leben, wie Herman erzählt: «Wir sind nie wirklich bezahlt worden – nur ein Pfund pro Song.»

London, 1972: Zur rechten Zeit am rechten Ort

Als die Wailers Ende 1972 ohne Geld in London feststeckten, gingen sie zum Gründer und Chef der Plattenfirma Island Records, Chris Blackwell. Sie kannten ihn nicht persönlich, aber der großteils auf Jamaika aufgewachsene Brite hatte ein paar ihrer frühen Ska-Platten in Großbritannien vertrieben. «Bunny hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ich ihnen Geld schuldete», schreibt Blackwell in seinen Memoiren «The Islander», die vergangenes Jahr erschienen.

Das sah er anders, dennoch waren die Wailers bei Blackwell an der richtigen Adresse. Die drei, insbesondere Marley, machten mit starker Ausstrahlung auf ihn Eindruck, wie er schildert. «Als ich sie betrachtete, dachte ich: Scheiße, das ist das Wahre. Und ihr Timing war gut. Jimmy Cliff hatte mich gerade eine Woche zuvor verlassen.»

Der 78-jährige Cliff ist einer der erfolgreichsten Reggae-Musiker. Ähnlich wie die Wailers hatte der Sänger damals auf Jamaika Bekanntheit erlangt, aber kaum Geld verdient und den internationalen Durchbruch noch nicht geschafft. Das erzählt David Katz, der US-Autor von «Solid Foundation», einer Oral History des Reggae, sowie auch einer Jimmy-Cliff-Biografie, der Deutschen Presse-Agentur.

Blackwell holte Cliff nach England, um aus ihm einen Star zu machen – jedoch zunächst als Soulsänger, wie Katz betont, was nicht geklappt habe. Blackwell versprach Cliff nach eigenen Angaben, ihm binnen zwei Jahren zum Durchbruch zu verhelfen. Er vermittelte ihm die Hauptrolle im jamaikanischen Spielfilm «The Harder They Come» von 1972. «Und dann verzögerte und verzögerte sich der Film, und als er herauskam, wurde das Geld erst nach Jahren wieder eingespielt», sagt Katz.

Heute ist der Film – mit Cliff als jungem Mann vom Land, der nach Kingston kommt, um Sänger zu werden, aber in die Unterwelt abrutscht – ein Klassiker. Der Filmmusik von Cliff wird eine große Rolle bei der Verbreitung des Reggaes außerhalb Jamaikas zugeschrieben. Doch das dauerte ein paar Jahre. Cliff gingen die Geduld und das Geld aus, und er verließ Island Records. «Vielleicht war es Schicksal, dachte ich. Gerade als Jimmy hinausstürmte, kamen Bob, Pete und Bunny hereinspaziert», erinnert sich der 85-jährige Blackwell.

Mit «Catch a Fire» fing es an

Er verpflichtete sie sofort, und im April 1973 kam das Album «Catch a Fire» heraus – unter anderem mit dem Song «Stir It Up». Blackwell ließ den US-Rock-Gitarristen Wayne Perkins auf dem Album spielen, um den Klang im Ausland etwas Mainstream-tauglicher zu machen. «Es hatte das Beste aus beiden Welten», meint Katz. «Es war das raue Jamaikanische mit genug Rock-Elementen, um es zugänglich zu machen.»

«Catch a Fire» verkaufte sich zwar nicht auf Anhieb besonders gut, aber über die Jahre beständig, wie Blackwell berichtet. Laut Katz war das Album die Startrampe für die folgende internationale Anerkennung für Bob Marley and the Wailers – wie die Gruppe später hieß.

Noch 1973 ging die Band in den USA auf Tour und veröffentlichte ihr nächste Album, «Burnin’», mit den Songs «Get Up, Stand Up» und «I Shot the Sheriff». Kurz darauf verließen Bunny und Tosh die Band. Marley wurde als Rebell mit sanfter Stimme eine globale Ikone.

The Show must go on

Das Bob Marley Museum, in einem gehobenen Viertel der Hauptstadt Kingston, war früher der jamaikanische Sitz von Island Records, bevor Blackwell das Grundstück Marley übergab. Seit kurzem steht dort auch ein Laden der Marke «Marley Natural». Da kann Marihuana gekauft und in einem Nebenraum geraucht werden. Das Kiffen gehört zu den Riten der Rastafari-Bewegung, der Marley angehörte. Das Cover von «Catch a Fire» ist ein Bild von ihm mit einem großen Joint im Mund.

Marley sei ein von Gott gesandter musikalischer Prophet gewesen, meint Bongo Herman, der etwa zur selben Zeit wie dieser in Trench Town aufwuchs – einem von Gewalt und Armut geprägten Viertel von Kingston. «Reggae kann nicht sterben, Reggae lebt für immer», sagt er und verweist darauf, wie viele Menschen außerhalb Jamaikas die Musik liebten – in Deutschland sei er auf großen Festivals aufgetreten. Manche heutigen Reggae-Musiker seien allerdings vom Pfad abgekommen und zu sehr in den Hip Hop abgedriftet, meint er. Für die richtige Musik brauche es die richtigen Musiker. «Viele von uns leben noch.»

Von Nick Kaiser, dpa