«Nachtzug nach Lissabon» ist längst ein Klassiker der zeitgenössischen Literatur, aber sein Autor, Pascal Mercier, hat nie groß im Rampenlicht gestanden.
In dem Roman von 2004 ging es um den Altsprachenlehrer Raimund Gregorius, der eines Tages aus dem eingefahrenen Trott ausbricht und sich auf eine abenteuerliche Sinnsuche begibt. Das Buch erzählt von der Poesie und Macht der Sprache. Ein Thema, das sich durch das ganze Schaffen des Autors zieht, der eigentlich Peter Bieri hieß. Ende Juni starb er nach Angaben des Hanser Verlags im Alter von 79 Jahren.
Bieri, Mercier und die Philosophie
Seine Bekanntheit rührt vom Romanerfolg, aber eigentlich bestand sein Hauptwerk aus philosophischen Textbüchern, Betrachtungen und Essays, die er unter seinem bürgerlichen Namen Peter Bieri veröffentlichte. Romane schrieb er unter dem Pseudonym Pascal Mercier. Er sei sowohl ein literarisch höchst produktiver Philosoph als auch ein philosophisch denkender Erzähler, schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» einmal.
Das Roman-Werk von Mercier ist überschaubar. Der Welterfolg «Nachtzug nach Lissabon» war sein drittes Werk. Es erschien 2004 und wurde 2013 mit Jeremy Irons in der Hauptrolle verfilmt. Frühere Werke waren «Perlmanns Schweigen» (1995) und «Der Klavierstimmer» (1998). 2007 gab es noch «Lea. Novelle». Danach blieb es lange ruhig um Mercier.
Der letzte Roman: «Das Gewicht der Worte»
Bis er 2020 seinen fünften und letzten, wieder fulminanten Roman vorlegte. In «Das Gewicht der Worte» geht es wieder um Sprache. Simon Leyland ist ein Verleger, der sich nach einer Gehirntumor-Diagnose auf den Tod einstellt. Dann stellt sich heraus, dass seine Unterlagen im Krankenhaus vertauscht worden waren und er nur eine harmlose Durchblutungsstörung hatte. Plötzlich geht das Leben weiter.
Mercier beschreibt, wie der Ruck dem Mann, der sich von Berufswegen her stets mit den Stimmen anderer Autorinnen und Autoren befasst hat, hilft, seine eigene Sprache zu finden, um seine eigene Geschichte aufzuschreiben.
Das Werk des Sachbuchautors Bieri ist umfangreicher. Als Philosoph dachte er viel über das Sein nach und die sprachlichen Möglichkeiten, die Ergebnisse verständlich und möglichst fesselnd zu Papier zu bringen. Kein einziges Wort zu verwenden, das nicht jedermann versteht, war sein Anspruch, und das gelang ihm schon 2001 in seinem wissenschaftlichen Hauptwerk «Das Handwerk der Freiheit». Es folgten zahlreiche Abhandlungen, die unter anderem um die Themen Freiheit, Selbstbestimmung, Sprache und Ausdruck kreisten.
«Philosophie für Nichtakademiker»
Bieri wurde in Bern geboren. Er orientierte sich nach Deutschland, studierte Philosophie, Anglistik und Indologie in Heidelberg. Er lehrte an verschiedenen Universitäten, zuletzt an der Freien Universität Berlin Philosophie. Er erhielt unter anderem den Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (2006) und die Lichtenberg-Medaille der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (2007).
Oft gelang dem Schweizer eine «seltene Synthese, nämlich philosophisches Denken erzählerisch zur Darstellung zu bringen», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) 2013 über den Wahl-Berliner. Damit gleiche sein Werk auch einer Art «Philosophie für Nichtakademiker». Für die «FAZ» war er kein «reiner Fachphilosoph mit unterhaltsamer Freizeitverwendung in der Schmökerzone». Bieris Aufsätze mit Titeln wie «Sind die Dinge farbig?» oder «Was macht Bewusstsein zu einem Rätsel?» zeigten, dass er die Philosophie als Beitrag zur Problemlösung nutzte.
Bieri war von Sprachen fasziniert. Er beherrschte neben Deutsch Französisch, Englisch, Latein, Hebräisch sowie Sanskrit und begann in späten Jahren Russisch und Arabisch zu lernen.