Robert Downey Jr (m.) als Lewis Strauss in einer Szene des Films "Oppenheimer". (Urheber/Quelle/Verbreiter: Melinda Sue Gordon/Universal Pictures/dpa)

Die Blockbuster-Sommersaison ist in vollem Gange: An diesem Donnerstag startet nicht nur der «Barbie»-Realfilm – lanciert wird auch der aktuelle Streich von Kinogroßmeister Christopher Nolan. Ein ungleiches, ein fast skurriles Duell, das nichtsdestotrotz in der Kino-Fan-Welt bereits für Aufregung sorgte.

Grellpink gegen Düster? Ja, auch in «Oppenheimer», dem zwölften Langfilm Nolans, nach frühen Werken wie «Insomnia», nach jüngeren Stücken wie «Tenet», gibt es wenig helle Momente, kaum ein Innehalten, ein Zurücklehnen, kaum ein Lachen. Cillian Murphy als «Vater der Atombombe» Robert Oppenheimer wird flankiert von Mimen wie Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Josh Hartnett, Casey Affleck, Rami Malek.

Die menschheitsgeschichtliche Zäsur der Bombe

Nolans Regiearbeit (auch fürs Skript zeichnet er verantwortlich) basiert auf der Biografie «American Prometheus» von Kai Bird und Martin J. Sherwin: Es geht um J. Robert Oppenheimer, den weltbekannten theoretischen Physiker, der im Rahmen des so genannten Manhattan-Projekts maßgeblich an der Entwicklung der ersten Atomwaffe beteiligt war. Der US-Physiker mit deutsch-jüdischen Wurzeln studiert in Harvard, promoviert in Göttingen. Oppenheimer lernt andere Wissenschaftler wie Werner Heisenberg (ein überraschender, zu kurzer Auftritt Matthias Schweighöfers) und Niels Bohr kennen. Wieder in den USA, übernimmt Oppenheimer die Führung beim Manhattan-Projekt. Unter seiner Leitung entwickeln die Vereinigten Staaten Nuklearbomben.

Obwohl Nolan beileibe kein mit ausgefahrenem Moralzeigefinger inszenierender Regisseur ist, macht er deutlich, welch menschheitsgeschichtliche Zäsur mit der Zündung der ersten Atombombe einherging. Von fast unerträglicher Spannung sind die langen Minuten, die uns im Kinosessel an der ersten Atombombenexplosion teilhaben lassen: Statt fand diese auf einem Testgelände in der Wüste New Mexicos.

Dass unsere Welt nach dem 16. Juli 1945 eine andere war, dafür findet Nolan eindringliche Bilder. Tableaus, deren Intensität noch gesteigert wird, als es auf die ersten Kriegseinsätze von Nuklearwaffen zugeht: Am 6. und 9. August 1945 sollten die USA über Hiroshima und Nagasaki Atombomben abwerfen. Die von Nolan und Kameramann Hoyte van Hoytema ersonnenen Einstellungen für die innere Zerrissenheit Oppenheimers, dem mehr und mehr schwant, für welch Leid er mitverantwortlich ist, tun weh. Sehr weh.

Das Projekt läuft aus dem Ruder

Selbst wer fit ist in Physik und Politik, wird nicht alle Zusammenhänge, nicht alle Andeutungen dieses so personen- wie dialogdichten Films nachvollziehen können (hübsch: kurze Auftritte Albert Einsteins). Das muss man aber auch gar nicht, um zu verstehen, dass dies vor allem das Porträt eines Menschen, eines Mannes ist, der getrieben ist von seinen Visionen und Ideen. Der schon während des Studiums unter seiner herausragenden Genialität leidet. Der immer mehr vom Physiker zum Politiker und Manager wird: Zum Manager eines Projekts, das nach und nach aus dem Ruder läuft, dem Manhattan-Projekt.

Immer wieder im Mittelpunkt der wunderbaren Kamera-Arbeit: das mal mehr, mal weniger zerfurchte Gesicht Cillian Murphys, der hier so toll und glaubwürdig agiert, das alles andere als eine Oscar-Nominierung eine Frechheit wäre. Die aufgerissenen Augen Murphys, sein mal kalter, zuweilen zutiefst berührender Blick, die kurz geschorenen Haare, die seinen Oppenheimer noch anämischer erscheinen lassen: All das prägt sich ein; mehr als manch, in der Eile der engen Szenenabfolge schwer nachvollziehbarer geopolitischer Zusammenhang.

Viele Verästelungen in 180 Minuten

Das wunderbare Spiel des Iren aber, das flankiert wird von unzähligen Neben-Performances (Matt Damon auf der Höhe seiner Kunst, ein angstmachender Casey Affleck, die famose Emily Blunt, ein Robert Downey Jr., der hier mal nicht an seine, wenn auch superbe Zeit als Superheld Iron Man denken lässt…), kann nicht verhindern, dass sich auch diesmal, nach vielleicht 120 Minuten (auf die noch mal ganze 60 Minuten folgen) so etwas einstellt wie der Christopher-Nolan-Effekt.

Kein Zweifel, dass er dem Kino mit seiner «Batman»-Trilogie, mit Filmen wie «Interstellar» große Geschenke gemacht hat – Nolan aber hat auch den Hang zu kaum nachvollziehbaren Verästelungen, die die Gefahr heraufbeschwören, all die wunderbaren Bilder, die die Filme auch auszeichnen, das grandiose Schauspiel zu vergessen. Es ist die beängstigende Aktualität des zwölften Nolan-Werks, die dazu führen könnte, dass sein Thema weniger schnell dem Vergessen anheimfällt: Seit dem 24. Februar 2022, dem Angriff Russlands auf die Ukraine, sind Atomwaffen und die von ihnen ausgehende Bedrohung wieder Teil unserer Empfindungswelt.

Oppenheimer, USA 2023, 181 Min., FSK ab 12, von Christopher Nolan, mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Florence Pugh, Robert Downey Jr.

Von Matthias von Viereck, dpa