Das jüdisch-mittelalterliche Erbe von Erfurt könnte an diesem Sonntag in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen. Die UN-Kulturorganisation Unesco will in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad darüber entscheiden. Die 45. Sitzung des Welterbekomitees sollte eigentlich im Juni 2022 in Russland stattfinden. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde sie jedoch verschoben und wird nun in Riad nachgeholt.
Konkret geht es bei Erfurt unter anderem um mehrere Bauten der Altstadt, darunter ein vor rund 16 Jahren durch Zufall entdecktes mittelalterliches Ritualbad (Mikwe) sowie Erfurts Alte Synagoge. Nach einem Pogrom in der Stadt im Jahr 1349, bei dem quasi die gesamte jüdische Gemeinde ausgelöscht wurde, wurde die Synagoge zunächst zu einem Lagerhaus umfunktioniert und später als Gaststätte sowie Tanzsaal genutzt. Die Stadt vermutet, dass das Gebäude aus diesem Grund vor der Zerstörung durch die Nazis bewahrt wurde.
Mittelalterliches jüdisches Leben
Heute befindet sich in der Alten Synagoge, deren älteste Bauspuren um 1094 datiert werden, ein Museum. Ausgestellt werden Zeugnisse des jüdischen Lebens im mittelalterlichen Erfurt, die ebenfalls Teil der Bewerbung sind. Dazu gehören mehrere Tausend Silbermünzen und -barren sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Forscher vermuten, dass dieser sogenannte Erfurter Schatz während des Pogroms 1349 vergraben wurde.
Der Schatz wurde 1998 kurz vor Abschluss archäologischer Untersuchungen auf einem Grundstück in der Altstadt gefunden – wo sich einst das jüdische Viertel befand. Fast 30 Kilogramm wiegt der unter anderem aus Silbermünzen, Geschirr und Stücken der Goldschmiedekunst aus dem 13. und 14. Jahrhundert bestehende Schatz. Die Wissenschaft vermutet, dass er während des Pogroms von 1349 von seinem jüdischen Besitzer versteckt worden war. Während dieser gezielten Verfolgung der Juden wurden nahezu alle der etwa 1000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde getötet, das jüdische Viertel um die Synagoge wurde in Brand gesetzt.
Auch vor diesem Hintergrund sind noch heute erhaltene Zeugnisse des mittelalterlichen jüdischen Lebens in Erfurt ein Glücksfall. «Dass der Schatz gefunden wurde, war reiner Zufall, es war ein privates Versteck, das kannte niemand», sagt Maria Stürzebecher, die für Thüringens Hauptstadt jahrelang die nötigen Vorbereitungen getroffen und schließlich auch am Antrag für die Aufnahme gefeilt hat. Als besondere Kostbarkeit des Schatzes gilt ein jüdischer Hochzeitsring.
Das spricht gegen Erfurt
Gegen einen positiven Bescheid für Erfurt spricht, dass sich ohnehin schon viele Kulturstätten in Europa und Deutschland befinden. Die Stadt Erfurt ist aber so optimistisch, dass sie zum möglichen Entscheidungstermin am Sonntagnachmittag zum öffentlichen Live-Stream der Unesco-Sitzung ins Rathaus einlädt.
Zu den bisher 1157 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern zählen das Great Barrier Reef in Australien, der Nationalpark Serengeti in Tansania, die Inka-Stadt Machu Picchu in Peru sowie die Pyramiden von Gizeh in Ägypten. In Deutschland gibt es bislang 51 Welterbe-Stätten, darunter der Aachener Dom (seit 1978) und die Mathildenhöhe Darmstadt (2021).