Ob es die Tränen sind, als Bambis Mutter gestorben ist, die großen Lacher über Micky Maus, Goofy und Donald Duck oder der erste Lieblingssong, den man gemeinsam mit der Eiskönigin zum Besten gegeben hat: Fast jeder Mensch, der mit Film und Fernsehen groß geworden ist, verbindet mit Disney eine prägende Erinnerung. Die Walt Disney Company feiert am Montag (16. Oktober) ihr 100-jähriges Bestehen und damit die vielen großen und kleinen Momente ihrer Geschichte. Doch an der Firma gibt es auch Kritik.
Die Anfänge unter Walt Disney
Mit gerade einmal Anfang 20 gründet Micky-Maus-Erfinder Walt Disney 1923 mit seinem Bruder Roy das Disney Brother Cartoon Studio. Der Grundstein für einen der größten Konzerne der Welt ist gelegt. Die ersten Erfolge lassen nicht lange auf sich warten. Schon 1928 feiert Disney mit dem ersten vollsynchronisierten Animationsfilm «Steamboat Willie» eine Weltpremiere. Das erste Mal mit dabei: Micky Maus.
«Disney hat wahnsinnig früh wahnsinnig viel richtig gemacht», sagt Maike Reinerth. Sie ist Medienwissenschaftlerin unter anderem mit den Schwerpunkten Animation Studies und Medien, Politik und Gesellschaft. Ein Beispiel sei der erste abendfüllende Animationsfilm «Schneewittchen» (1937), in dem nach dem Märchen der Brüder Grimm die Prinzessin singend die sieben Zwerge ins Herz schließt. «Gerade zu Beginn der Tonfilmära war das ein großer Erfolg.»
Auch technisch probiert Disney anfangs viel aus. Zum Beispiel den speziellen Farbfilm Drei-Farben-Technicolor, der den drei kleinen Schweinchen im gleichnamigen Kurzfilm von 1933 ihre rosa Bäckchen gibt. Oder die räumlich vertiefende Multiplan-Kamera, durch die Pinocchios Nase im Jahr 1940 noch viel länger wirkt. «Zum anderen hat Disney schon sehr früh versucht, ein altersmäßig diverses Publikum anzusprechen – das zieht sich seitdem eigentlich durch», sagt Reinerth der Deutschen Presse-Agentur.
Filme für alle?
Gerade in den 1950er Jahren entdeckt Disney neben den jungen Zuschauern auch das weibliche Publikum. Es überrascht Reinerth nicht, dass sich zum Beispiel der romantische Plot in «Cinderella» (1950) nicht nur an die Kinder, sondern auch an die Mütter richtete.
Damals ist der Film ein internationaler Kassenschlager. Aus heutiger Sicht zeigt er eine typische Charakterisierung der frühen Disney-Prinzessinnen, die «eine enge Verknüpfung von eher über-idealisierten Schönheitsvorstellungen plus eher passiven, weiblichen Figuren» darstellt, wie Reinerth schildert. Das dortige Frauenbild, das früher begeisterte, werde heute eher kritisiert. «Faszination und Kritik liegen da sehr nah beieinander.»
Doch nicht nur bei der Darstellung von Frauen bedient sich Disney teilweise unsensibler Klischees. Ob durch rassistisch-stereotype Siam-Katzen in «Susi und Strolch» (1955) oder die eher negativ behaftete Darstellung von sexuellen Minderheiten als Bösewichte, wie die Meerhexe Ursula in «Arielle, die Meerjungfrau» (1989), deren Look auf der US-amerikanischen Drag Queen Divine basiert.
«Bei der Frage von Diversität oder gesellschaftlichem Fortschritt ist Disney eher immer dem Mainstream gefolgt, statt Grenzen auszutesten und Neues zu wagen, was im Bereich der Animation ja sehr gut möglich ist», sagt Reinerth. Disney habe sich an dem orientiert, was gesellschaftlich und kulturell die Norm gewesen sei. Trotzdem habe es in den hundert Jahren eine Entwicklung zu mehr Sensibilität gegeben, auch wenn die Erzählweise weiterhin meist mit einer westlichen und teils exotisierenden Brille stattfinde.
Trendsetter für Animation
Trotz des recht frühen Todes von Walt Disney im Jahr 1966 schafft es der Konzern, sich sein Markenzeichen zu bewahren: die Animation. «Die Filme sind tatsächlich einfach sehr gut animiert», so die Expertin. «Vieles, was schon sehr früh an Techniken und Abläufen bei Disney entwickelt wurde, ist heute immer noch Standard oder zumindest prägend.»
So gehen grundlegende Prinzipien der Animation, die heute als Standard-Techniken gelten, auf zwei der Stammzeichner zurück, sagt Reinerth. «Was von Anfang an die Disney-Filme gekennzeichnet hat: dass es eine extrem realistische Bewegungsanimation gibt, die die Bewegungen glaubhaft macht und die Figuren plausibel erscheinen lässt, auch wenn es Fantasiewesen sind.»
So bekommen die Zuschauer durch den Zeichenstil zum Beispiel ein Gefühl dafür, wie schwer die Elefanten in «Dumbo» (1941) sind, wenn sie im Zirkus alle aufeinander fallen. Durch die große Technologieoffenheit wirkten auch jahrzehntealte Filme wie «Alice im Wunderland» (1951) mit seiner psychedelischen Fantasiewelt und der Grinsekatze selbst heute noch modern.
Seine 140 Oscar-Auszeichnungen hat der Disney-Konzern aber nicht nur seinen Animationsfilmen, sondern auch Realverfilmungen wie «Mary Poppins» (1964) zu verdanken. Längst gehören auch die Superhelden von Marvel, Captain Jack Sparrow aus den «Fluch der Karibik»-Filmen und der kleine Yoda aus der «Star Wars»-Reihe zur Disney-Familie, mit der ein immer breiteres Publikum erschlossen werden soll.
Disney zum Anfassen
Sehr früh schon verbindet der Konzern zudem die reale mit der Fantasiewelt. So wird bereits 1955 im ersten Disneyland in Anaheim (US-Staat Kalifornien) berührbar, was bis dahin nur auf der Leinwand existiert. Heute gibt es sechs Freizeitparks in Nordamerika, Europa und Asien. Die «New York Times» schrieb einmal, die Sonne gehe im Disney-Universum niemals unter.
Zum Charme gehört immer auch ein ganzes Stück Nostalgie. «Man will seinen Kindern dann auch die Möglichkeit geben, das als Teil der Kindheit zu erleben», sagt Reinerth. So wird sich der Nachwuchs heutzutage wahrscheinlich eher an Elsa und ihre Schwester Anna mit Schneemann Olaf aus «Die Eiskönigin» (2013) erinnern als an Timon und Pumbaa, die Simba im «König der Löwen» (1994) zur Seite stehen. Wie auch immer: Die Faszination bleibt bei Jung und Alt.