Für viele Fernsehzuschauer gehört dieser Film einfach zu Weihnachten wie Christbaum und Lebkuchen: Die Märchenverfilmung «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» ist ein Klassiker, der Klein und Groß sofort in schneebedeckte Landschaften versetzt. Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom klugen Aschenbrödel (Libuse Safrankova), das mit Mut und List das Herz des schönen, aber etwas naiven Prinzen (Pavel Travnicek) gewinnt? Im November wird das TV-Märchen 50 Jahre alt.
Nicht nur in Deutschland, auch in Tschechien und in Norwegen gilt «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» als der Weihnachtsfilm überhaupt. Das Erste und die Dritten zeigten ihn voriges Jahr zwischen 1. Advent und Neujahr 15 Mal. Dabei hätte man den Film fast im Sommer gedreht.
Das Drehbuch wird für den Winter umgeschrieben
Das ursprüngliche Drehbuch sah vor, dass Aschenbrödel über «blühende Wiesen» läuft und in einem «sonnendurchfluteten Bach» seine Wäsche reinigt. Es war ein glücklicher Zufall, dass das ostdeutsche Studio DEFA, der deutsche Koproduktionspartner der Prager Barrandov-Studios, im Winter 1972/1973 freie Kapazitäten hatte. Die DEFA steuerte Schauspielgrößen wie Rolf Hoppe als König bei. In wenigen Tagen wurde das Drehbuch kurzerhand für eine andere Jahreszeit umgeschrieben.
Traditionell wird meist der 1. November 1973 als offizielles Datum für die Premiere des heutigen Kultfilms genannt. Nachforschungen des Nationalen Filmarchivs in Prag haben indes ergeben, dass der Film in Wirklichkeit erst am 16. November 1973 in den tschechoslowakischen Kinos anlief. Eine Galapremiere für den sozialistischen Jugendverband SSM hatte es demnach bereits am 26. Oktober gegeben. Unstrittig ist indes, dass die DDR-Premiere später am 8. März 1974 erfolgt ist. Hauptdarstellerin Libuse Safrankova kann man zum 50. Jubiläum leider nicht mehr befragen – sie starb im Juni 2021 im Alter von 68 Jahren.
Aschenbrödel weiß was sie will
Eine der schönsten Szenen des Films ist die erste Begegnung zwischen Aschenbrödel und dem Prinzen. Als der Thronfolger auf der Jagd mit seiner Armbrust ein Reh erlegen will, trifft ihn unvermittelt ein Schneeball. Geworfen hat ihn das kecke Aschenbrödel, das sich schnell davonmacht. «Das ist kein passives Mädchen, das darauf wartet, vom Prinzen gerettet zu werden», sagt der Leiter des Nationalen Filmarchivs in Prag, Michal Bregant im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Aschenbrödel handelt mit mehr Unabhängigkeit und Energie – das ist es, was den Film bis heute so interessant macht.»
Hinter den Kulissen war es jedoch keine Schneeballattacke der jungen Frau. In Wirklichkeit warf Regisseur Vaclav Vorlicek den Schneeball zielsicher von seiner Position neben der Kamera aus. «Vorlicek war ein Regisseur, der den Ehrgeiz hatte, erfolgreiche und populäre Filme zu drehen», sagt Bregant über den 2019 gestorbenen Künstler. «Er war kein großer Philosoph, sondern ein Pragmatiker.» Unverkennbar ist Vorliceks Sinn für Humor. «Ich nehme das Leben mit einem Lächeln, selbst wenn ich verschiedene Klippen umschiffen muss, denn ich bin vom Wesen her ein Optimist», sagte er einmal in einem Radiointerview.
Politische Unterdrückung von Künstlern
Solche Klippen gab es auch 1973: Die Dreharbeiten fielen in eine Zeit der politischen Unterdrückung und der verschärften Zensur in der Tschechoslowakei. Im August 1968 hatten die Warschauer-Pakt-Staaten die Reformbewegung Prager Frühling mit Panzern niedergewälzt. Viele Künstler fielen in Ungnade. «Der ausgezeichnete Dramatiker und Szenarist Frantisek Pavlicek schrieb das Drehbuch versteckt hinter einem falschen Namen», berichtet der Filmwissenschaftler Pavel Skopal – und das, obwohl das Märchen keinen politischen Subtext habe.
Pavlicek verzichtete ganz auf einen klassischen Erzähler und verwob geschickt drei Märchentexte der tschechischen Nationalschriftstellerin Bozena Nemcova (1820-1862). So kommt es, dass Aschenbrödel Zaubernüsse öffnet, statt wie bei den Gebrüdern Grimm zu rufen: «Bäumchen rüttel dich und schüttel dich!» Sorgen der DEFA-Koproduzenten, deutsche Kinder könnten das Märchen nicht wiedererkennen, erwiesen sich als unbegründet.
Drehen bei minus 17 Grad
Vor kurzem ist Prinzen-Darsteller Pavel Travnicek im Tschechischen Rundfunk gefragt worden, woran er sich als Erstes erinnert, wenn er an den Dreh zurückdenkt: «Der Winter, der Winter, es war schrecklich kalt», schoss es aus dem 72-Jährigen heraus. Man sei jung gewesen und habe es bei minus 17 Grad ausgehalten. Wenn er sich Fotos von damals ansehe, sei er nahezu gerührt: «Verdammt, was war das für eine Zeit.»
Märchenfans können sich freuen, dass mit fallenden Temperaturen auf Schloss Moritzburg in Sachsen bald wieder eine Winterausstellung zu dem Kultfilm zu sehen ist. Die Schau startet am 22. November. Gezeigt werden originale Kostüme, Fanobjekte, Requisiten und mehr. Weitere Drehorte der Außenaufnahmen waren die gotische Wasserburg Svihov im Westen Tschechiens und die verschneiten Hänge des Böhmerwalds.