Michael Caines emotionaler Abschied
Glenda Jackson (r) als Rene und Michael Caine (l) als Bernard in einer Szene des Films "In voller Blüte". (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rob Youngson/Leonine/dpa)

Schon mehrfach hat Sir Michael Caine angekündigt, dass er sich von der Schauspielerei zurückziehen will. Doch jetzt macht der 90-Jährige, der jüngst seinen ersten Roman veröffentlicht hat und gerade seinen zweiten schreibt, ernst. «Ich erzähle schon lange, dass ich in Rente gehen will», sagte er vergangenen Monat in einer Radiosendung der BBC. «Jetzt mach ich es.»

Das Drama «In voller Blüte», das jetzt in die deutschen Kinos kommt, ist also der letzte Film des zweifachen Oscar-Gewinners. Und auch seiner Co-Darstellerin. Glenda Jackson, die wie Caine zwei Oscars erhielt, starb im Juni 2023. Den fertigen Film schauten die beiden noch gemeinsam.

Das Drama nach wahren Ereignissen erzählt die rührende Geschichte des Weltkriegs-Veteranen Bernard Jordan (Caine), den alle Bernie nennen. Seiner Frau Rene (Jackson) zuliebe lebt er in einem Altenheim im Küstenort Brighton. Liebevoll umsorgt er sie. Im Gegensatz zu Rene ist der Pensionär mit rund 90 Jahren aber noch einigermaßen fit und mobil, auch wenn er auf einen Rollator angewiesen ist.

Als der 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie bevorsteht, möchte Bernie bei den Gedenkfeierlichkeiten in Frankreich dabei sein. Doch er bekommt keinen offiziellen Platz und hat auch Bedenken, Rene allein zu lassen. Doch seine Frau weiß, was das Event für den Veteranen bedeutet und ermutigt ihn dazu. So macht sich Bernie auf eigene Faust auf den Weg nach Frankreich. Rene hält das vor den Mitarbeitern und Bewohnern des Pflegeheims erstmal geheim.

Rührende Geschichte ohne Kitsch

Mit viel menschlicher Wärme und dezentem Humor, aber ohne jeglichen Kitsch erzählt Regisseur Oliver Parker die rührende Geschichte von Bernie Jordan, der 2014 in Großbritannien ungewollt Schlagzeilen machte. Als «Flucht aus dem Seniorenheim» wurde seine Reise damals in der britischen Boulevard-Presse verklärt und Bernie in Anspielung auf den Filmklassiker «The Great Escape» («Gesprengte Ketten») als «The Great Escaper» gefeiert. So lautet auch der Originaltitel des Films. Das ist kaum zu übersetzen. Wie man darauf kommt, den Film als «In voller Blüte» in die deutschen Kinos zu bringen, ist dennoch ein Rätsel.

Während Bernie eine emotionale Reise erlebt, auf der nicht nur er sich einem Trauma aus der Vergangenheit stellen muss, herrscht im Seniorenheim höchste Aufregung über sein Verschwinden. Pflegerin Adele (Danielle Vitalis) und ihre Kolleginnen sind besorgt. Nur Rene bleibt gelassen. Die Seniorin kramt in alten Kisten und erinnert sich an frühere Zeiten mit ihrer großen Liebe Bernie und an die eigenen Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs. Auf das neue Abenteuer ihres Mannes wird irgendwann sogar die Presse aufmerksam.

Es empfiehlt sich, im Kino Taschentücher dabei zu haben. Wenn Bernie mit anderen Veteranen über die schrecklichen Erlebnisse spricht, wenn er auf einem Soldatenfriedhof in Bayeux über die «Verschwendung» menschlichen Lebens trauert oder in einem Lokal erstmals auf deutsche Soldaten trifft, dann dürften bei manchen Zuschauern die Tränen fließen.

Starke Momente

Eine Szene, in der Bernie die Hand des ehemaligen deutschen Soldaten Heinrich hält, der unter Tränen um Worte ringt, gehört zu den bewegendsten und stärksten Momenten des Films. Heinrich wird von dem gebürtigen Kieler Wolf Kahler gespielt. Der 83-Jährige, der in England lebt, gab schon in vielen internationalen Filmen und TV-Produktionen den deutschen Soldaten. Unter anderem machte Kahler als Nazi Oberst Herman Dietrich in «Jäger des verlorenen Schatzes» Indiana Jones das Leben schwer und spielte bei «Wonder Woman» mit.

Eine prominente Nebenrolle hat der britische Schauspieler John Standing, der schon 1976 in dem Weltkriegs-Epos «Der Adler ist gelandet» neben Caine mitwirkte. Standing spielt den ehemaligen Royal-Air-Force-Piloten Arthur, der sich auf der Überfahrt über den Ärmelkanal mit Bernie anfreundet und sein eigenes tragisches Kriegstrauma zu bewältigen hat.

Mit einer weniger hochkarätigen Besetzung hätte diese Produktion leicht zu einem seichten TV-Drama werden können (was der deutsche Titel vielleicht suggerieren soll). Aber Caine und Jackson, die zuvor 1975 für «Die romantische Engländerin» gemeinsam vor der Kamera standen, spielen ihre Charaktere so authentisch und leidenschaftlich, dass es einem wirklich nahe geht.

Dieser letzte Leinwand-Auftritt des genialen Duos ist mehr als nur ein bewegendes, biografisches Drama über die Erlebnisse von Bernie Jordan. Es ist ein warmherziger Film über Menschlichkeit, über das Altwerden und die mitunter schwierige Bewältigung der eigenen Vergangenheit. Ganz nebenbei macht «In voller Blüte» außerdem den Irrsin des Krieges deutlich. Die Botschaft könnte kaum zeitgemäßer sein.

Von Philip Dethlefs, dpa