Es ist eine ungeheuerliche Geschichte, die der italienische Regisseur Marco Bellocchio in seinem neuen Drama erzählt. Und sie ist tatsächlich passiert. 1858 wird in Bologna ein sechsjähriger jüdischer Junge im Auftrag des Papstes entführt. Das Kind wurde als Säugling heimlich von seiner katholischen Amme getauft. Für die Kirche herrscht daher das unumstößliche päpstliche Gesetz, dass der Junge eine katholische Erziehung erhalten muss.
Gegen seinen und den Willen seiner Familie wird der kleine Edgardo Mortara in ein Internat nach Rom gebracht und unter der Obhut von Papst Pius IX. zum katholischen Glauben erzogen. Der Fall wird zu einem Skandal – und Edgardo Mortara letztlich ein streng gläubiger Katholik, der als Prediger bekannt wird.
Wettbewerbsfilm in Cannes
Marco Bellocchio hat den Stoff in ein kunstvolles Historiendrama verwandelt. «Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes» lief dieses Jahr im Wettbewerb des Filmfestivals Cannes. Es ist ein opulenter Film, der mit seiner erschütternden Geschichte und einer prunkvollen Bildgestaltung überzeugt.
Die Szenen wirken wie Gemälde, mit starken Licht-Schatten-Effekten und in Sepia-Tönen. Die Zuschauer sehen ausschweifende Kamerafahrten über die Piazza von Bologna oder die Dächer von Rom. «In Bezug auf Kulissen, Kostüme, Farben und Kontraste haben wir uns von der großen Tradition des Vorimpressionismus in der italienischen und französischen Malerei inspirieren lassen, wie sie im Werk von Eugène Delacroix zum Ausdruck kommt», sagte der 84-jährige Bellocchio in einem Interview.
Dazu kommt eine emotionale Geschichte. Die Szenen mit dem jungen Schauspieler Enea Sala, der seiner Familie entrissen wird und langsam im Papst eine neue Bezugsperson findet, sind herzzerreißend. Der Film liefert außerdem interessante historische Einblicke in eine Zeit, in der eine Kindesentführung im Namen des Papstes tatsächlich rechtens war.
Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes, Italien/Frankreich/Deutschland 2023, 134 Min., FSK ab 12 Jahren, von Marco Bellocchio, mit Enea Sala, Leonardo Maltese