Der international bekannte und mit Kremlchef Wladimir Putin befreundete Dirigent Waleri Gergijew übernimmt die Leitung des weltberühmten Bolschoi Theaters in Moskau. Der 70-Jährige sei für die Dauer von fünf Jahren zum Generaldirektor des größten russischen Staatstheaters ernannt worden, teilte Regierungschef Michail Mischustin am Freitag in Moskau mit. Gergijew leitet auch das ebenfalls wegen seiner Gastspiele international bekannte Mariinski Theater in St. Petersburg, der Heimatstadt Putins. Er ist zudem Gründer mehrerer Festivals.
Im vorigen Jahr musste Gergijew als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker abtreten, weil er sich nicht von Putins Krieg gegen die Ukraine distanziert hatte. Nach der Mitteilung der Regierung wurde der bisherige Generaldirektor des Bolschoi Theaters, Wladimir Urin, auf eigenen Wunsch von seinem Posten entbunden. Er galt im Gegensatz zu Gergijew als Gegner des Krieges gegen die Ukraine.
«Ich verabschiede mich heute, weil heute mein letzter Arbeitstag im Bolschoi Theater ist», sagte der 76-jährige Urin laut einem im Internet verbreiteten Video bei einer Premierenfeier vor der Kompanie. Eine Sprecherin des Theaters bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am Freitag die Echtheit des Videos.
Urin hatte bereits zwei Tage nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, den Putin am 24. Februar 2022 befohlen hatte, gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden einen Aufruf zur Beendigung des Krieges unterzeichnet. Viele Künstler des Bolschoi hatten wegen des Krieges und der daraus folgenden westlichen Sanktionen ihr Engagement an dem Theater auf eigenen Wunsch oder zwangsweise beendet.
Angst vor politischer Verfolgung
Infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine verließ schon im März 2022 der Chefdirigent des Bolschoi, Tugan Sochijew, seinen Posten. Er habe niemals bewaffnete Konflikte unterstützt und in den 20 Jahren seiner musikalischen Karriere immer mit den Opfern aller Konflikte gefühlt, betonte Sochijew, der seit 2014 in dem Amt gewesen war.
Aus Russland geflohen war zudem etwa der Regisseur Kirill Serebrennikow, dessen mehrfach ausgezeichnetes Ballett «Nurejew» das Bolschoi aus dem Spielplan strich. Das Ballett um den an Aids gestorbenen schwulen russischen Tänzer Rudolf Nurejew sei wegen des Verbots von «Propaganda nicht traditioneller Werte» aus dem Repertoire genommen worden. Serebrennikow hatte Russlands Krieg scharf kritisiert. Wie viele Künstler verließ er aus Angst vor politischer Verfolgung seine Heimat, um ohne die im Kulturbetrieb verbreitete Zensur im Ausland frei arbeiten zu können.
Bei einer Vorstellung Gergijews im Bolschoi Theater am Freitag wies die Regierung Befürchtungen zurück, das Moskauer und das St. Petersburger Theater könnten zusammengelegt werden. «Das wird nicht passieren. Das Bolschoi und das Mariinski werden weiter bestehen, wie sie bisher existiert haben», sagte Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa. Gergijew selbst sagte, dass die Zusammenarbeit der beiden Theater etwa durch gegenseitige Gastspiele ausgebaut werden solle.
Beispiellose Ämterhäufung
Der prominente Putin-Freund hatte zu Spekulationen um seine Ernennung unlängst gesagt, dass er genug zu tun habe und nicht auf der Suche nach weiterer Arbeit sei. Nun soll er das Bolschoi parallel zum Mariinski, wo er seit 1988 als Generaldirektor und seit 1996 zusätzlich künstlerischer Leiter ist, führen.
Das Mariinski Theater in St. Petersburg teilte zu der selbst für russische Verhältnisse beispiellosen Ämterhäufung mit, dass Gergijew auch seine Arbeit als Dirigent fortsetzen werde. Er stehe im aktuellen Spielplan drei- bis fünfmal pro Woche am Pult. «Es gibt keine Zweifel, dass der Maestro seine Aufmerksamkeit zwischen den beiden Städten schnell und sehr kompetent verteilen wird», teilte das Theater mit. Putin hatte seinem Freund Gergijew unter anderem den Titel «Held der Arbeit» verliehen.
Der bisherige Generaldirektor Urin hatte das Theater mit der größten Ballettkompanie der Welt und der international renommierten Opern- und Konzertsparte seit 2013 geführt. Sein Vertrag hätte noch bis 2027 gegolten. Medien hatten zuletzt berichtet, dass Putin selbst auf Entlassung Urins bestanden habe. Urin sagte am Freitag, dass die vergangenen mehr als zehn Jahre für ihn ein großes Glück gewesen seien. Zu den Gründen seines Abschieds äußerte er sich aber nicht.