Berlinale: Kritik an israelkritischen Äußerungen bei Gala
Das Logo der Berlinale am Berlinale Palast. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Kalaene/dpa)

Nach den Äußerungen mehrerer Filmschaffender zum Nahost-Krieg auf der Berlinale-Gala hat Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) heftige Kritik an der Veranstaltung geübt. «Das, was gestern auf der Berlinale vorgefallen ist, war eine untragbare Relativierung. In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene», schrieb er auf der Plattform X, vormals Twitter. Wegner, der am Samstagabend selbst im Publikum saß, erwarte von der neuen Berlinale-Leitung, dass sich «solche Vorfälle» nicht wiederholten. 

Während der Preisverleihung am Samstagabend hatten mehrere Preisträger sich in einer Weise zum Gaza-Krieg geäußert, die für Kritik sorgte. Auffällig war nach Ansicht von Kritikern vor allem, dass die Beteiligten auf der Bühne einseitig Vorwürfe gegen Israel äußerten, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 zu erwähnen.

Zu Beginn der Gala hatte die Co-Chefin der Berlinale, Mariette Rissenbeek deutlich gemacht, dass es für «Hetze, Antisemitismus, antimuslimischen Hass und jede Form von Diskriminierung» keinen Platz bei der Berlinale gebe. Den Gaza-Krieg bezeichnete sie als «humanitäre Katastrophe». «Wir fordern Hamas auf, die Geiseln umgehend freizulassen und wir fordern Israel dazu auf, alles erdenklich Mögliche zu tun, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen und dafür zu sorgen, dass dauerhaft Frieden in der Region wiederkehren kann. Die Kampfhandlungen müssen aufhören.»

Israelfeindlicher Beitrag auf Instagram

Am Sonntag distanzierte sich die Berlinale zudem von einem israelfeindlichen Instagram-Beitrag zum Nahost-Konflikt, der zuvor auf einem Konto der Berlinale-Reihe Panorama veröffentlicht worden ist. «Diese Posts stammen nicht vom Festival und repräsentieren nicht die Haltung der Berlinale», teilte die Berlinale am Sonntagabend in ihrer Instagram-Story mit. «Wir haben sie sofort gelöscht und eine Untersuchung angestoßen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte.» Das Filmfestival kündigte an, eine Strafanzeige gegen Unbekannt zu erstatten. 

Auf X, ehemals Twitter, kursierten am Sonntag Screenshots von dem Konto der Panorama-Sektion der Berlinale. Auf einem Foto war der Slogan «Free Palestine – From the River to the Sea» («Freies Palästina – vom Fluss bis zum Meer») zu sehen. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer – dort, wo sich jetzt Israel befindet. 

Protest-Zettel auf der Bühne

Bei der von politischen Botschaften geprägten Gala gewann am Samstagabend zum zweiten Mal in Folge ein Dokumentarfilm den wichtigsten Preis, den Goldenen Bären: Der Film «Dahomey» von der in Frankreich geborenen Regisseurin Mati Diop setzt sich mit der Rückgabe von Raubkunst auseinander.

Auch sonst war die Berlinale in diesem Jahr besonders stark von politischen Debatten geprägt. Bereits bei der Eröffnungsgala hatten viele Filmschaffende etwa gegen Rechtsextremismus protestiert. Andere forderten ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Hamas. Bei der Preisverleihung trugen mehrere Menschen auf der Bühne einen Zettel mit der Aufschrift «Ceasefire Now» (etwa: «Feuerpause jetzt»).

Appell von palästinensischen Filmemacher

Der palästinensische Filmemacher Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Daraufhin kritisierte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck (Grüne), auf der Plattform X (vormals Twitter), dass dieser Auftritt beklatscht worden und unkommentiert geblieben sei. Das sei «ein kultureller, intellektueller und ethischer Tiefpunkt» der Berlinale, schrieb Beck.

Adra hatte mit drei anderen Filmemachern die Dokumentation «No Other Land» gedreht und dafür den Dokumentarfilmpreis gewonnen. Im Film geht es um die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern in Dörfern südlich von Hebron im Westjordanland.

Scharfe Kritik kam auch von Grünen-Politiker von Konstantin von Notz, nachdem – an anderer Stelle der Berlinale-Gala – der Filmemacher Ben Russell im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg von «Genozid» gesprochen hatte. «Es ist schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Solche Auftritte sind unerträglich, schrieb von Notz bei X.

Kritik auch von Kultursenator Chialo

Am Tag nach der Preisverleihung fand auch Berlins Kultursenator Joe Chialo deutliche Worte: «Die Kultur sollte Raum für vielfältige politische Meinungsäußerungen bieten, doch die diesjährige Preisverleihung der Berlinale war geprägt von selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört», schrieb der CDU-Politiker am Sonntag bei X. Es sei zu hoffen, dass die Festivalleitung die Vorfälle konsequent aufarbeite. 

Schauspieler Lars Eidinger sagte nach der Preisverleihung, er könne sich «kaum an Zeiten erinnern, die derart politisch waren». Es wäre aber «fatal, wenn man das komplett ausblenden oder ausklammern würde für so eine Veranstaltung», meinte Eidinger. Die Berlinale gilt seit jeher als politischstes der weltgrößten Filmfestivals. 

Goldener Bär für Film über Rückgabe von Kunstobjekten

In dem in diesem Jahr mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Film «Dahomey» setzt sich Regisseurin Diop, die senegalesische Wurzeln hat, mit Kunstschätzen auseinander, die 1892 aus dem westafrikanischen Benin – damals Dahomey – geraubt wurden. Sie folgt 26 Statuen auf der Reise aus Frankreich in deren Ursprungsland. Insgesamt wurden vor rund 130 Jahren Tausende Kunstwerke gestohlen, die sich noch heute in Frankreich befinden. 

Die experimentelle Doku fesselt mit poetischen Passagen – zum Beispiel spricht mehrmals eines der Kunstwerke aus dem Off. Ein Teil des Films zeigt eine Diskussion in Benin unter überwiegend jungen Menschen. Dabei streiten sie darüber, ob die Rückgabe als Fortschritt oder als postkoloniale Arroganz zu werten ist. Diskutiert werden zudem aktuelle Probleme des Landes wie Armut und Bildungsnotstand.

Matthias Glasner: Menschen träumen von meinem Film

Vergeben wurden auch mehrere Silberne Bären. Einer ging an den deutschen Regisseur Matthias Glasner für das Drehbuch seines emotional aufgeheizten Dramas «Sterben». In dem Film mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger in Hauptrollen hat der Regisseur die komplexe Beziehung zu seiner Familie verarbeitet. Glasner hatte die Sorge, das Drama sei vielleicht zu persönlich. Aber: «Ich werde wirklich seit Tagen alle paar Meter angehalten von Menschen, die sagen: „Toller Film, hat mich so berührt, ich träum‘ davon“», sagte Glasner am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Und: «Das hat sich irgendwie gelohnt, dass wenn man sich selber so doll öffnet, dass andere sich dann auch öffnen.»

Großer Preis der Jury an Hong Sangsoo

Der Große Preis der Jury ging an die melancholische Komödie «Yeohaengjaui pilyo» («A Traveler’s Needs») des südkoreanischen Regie-Veteranen Hong Sangsoo mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. «Ich verstehe nicht, was Sie in meinem Film sehen», sagte Sangsoo sichtlich bescheiden zur Jury auf der Bühne.

Der rumänisch-US-amerikanische Schauspieler Sebastian Stan wurde zum besten Hauptdarsteller für seine Leistung in der Tragikomödie «A Different Man» gekürt. Die Britin Emily Watson erhielt den Preis für die beste Nebenrolle in «Small Things Like These». Die 57-Jährige kam wegen eines gebrochenen Fußes mit einer Krücke auf die Bühne.

Der Franzose Bruno Dumont erhielt den Preis der Jury für die Sci-Fi-Parodie «L’Empire». Den Silbernen Bären für die beste Regie gewann Nelson Carlos De Los Santos Arias für «Pepe», einen Experimentalfilm über ein totes Nilpferd in Kolumbien. Für seine herausragende künstlerische Leistung im Historiendrama «Des Teufels Bad» wurde der österreichische Kameramann Martin Gschlacht geehrt.

Neue Berlinale-Spitze ab April

Für das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian war dies die fünfte und damit letzte Berlinale in ihrer Funktion. Ab April übernimmt Tricia Tuttle. Die US-Amerikanerin saß bei der Preisverleihung strahlend im Publikum. Mit einem Publikumstag ging das Festival am Sonntag zu Ende.

Von Peter Claus und Sabrina Szameitat, dpa