Eine grün gestrichene Tür öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen kapellenartigen Raum. Von dort geht es steile Treppen hinunter in die Tiefe. Mit jeder Stufe wird es kühler. Klick-klack tönen die Schritte auf dem Stein. Geheimnisvolles Dämmerlicht umfängt den Besucher, und dann kommt eine hochgezogene Falltür. Dahinter liegt eine Kammer – Kölns Pharaonengrab.
An der Rückwand der Kammer steht ein mit Figuren verzierter Sarkophag, dessen Grabplatte verschoben ist. Da kommt einem alles Mögliche in den Sinn, je nach Sozialisierung. Der eine mag an Zombies denken, der andere an Jesus: leeres Grab, Auferstehung und all diese Dinge. Drei Porträtbüsten stehen an den Seiten. Nase, Ohren, alles dran. Auf den ersten Blick fast zu makellos, um echt zu sein. Doch die Skulpturen sind mehr als 1800 Jahre alte Originale.
Die Kammer zählt zu den besterhaltenen römischen Grabanlagen nördlich der Alpen. Aber sie ist kein Museum. «Wir sind ein Erlebnisraum», betont Professor Heinz Günter Horn, Vorsitzender des Fördervereins Römergrab Weiden. «Im Museum sind die Objekte ihres Kontextes beraubt. Hier stehen sie genau an der Stelle, an der sie sich auch in der Antike befanden. Das gibt es sonst nirgendwo.» Es ist ein Grab mit Indiana-Jones-Gehalt.
Alte Römerstraße
Die Anlage befindet sich mitten an einer der Hauptausfallstraßen von Köln, der Aachener Straße – und das ist kein Zufall: Denn diese Straße ist von den Römern selbst angelegt worden. Sie hieß zu ihrer Zeit Via Belgica, weil sie nach Belgien und weiter bis zur französischen Kanalküste führt. Zu beiden Seiten der Straße standen Grabmäler.
Tote mussten zu römischer Zeit außerhalb der Stadt bestattet werden, aber wie heute auch wollten die Reichen und Berühmten noch im Tod zeigen, wer sie gewesen waren. Deshalb bauten sie möglichst prächtige Grabmäler direkt an der Straße. Auch das Römergrab im heutigen Stadtteil Weiden besaß wohl einen überirdischen Grabtempel.
Abstieg in die Römerzeit
Lange fristete das 1843 wiederentdeckte Grab ein Schattendasein, doch in den vergangenen Jahren ist es von zahlreichen Ehrenamtlern für die Öffentlichkeit erschlossen worden und kann nun seit einiger Zeit an drei Tagen in der Woche besichtigt werden. Ein moderner Informationsbereich führt in Bild und Ton in die Welt der Römer ein, Ende Mai wird noch ein Erweiterungsbau mit Versammlungsraum und einem dahinter liegenden römischen Garten eröffnet. Das alles aber findet oberirdisch statt – unten sieht alles so aus wie zur Zeit der Legionäre und Gladiatoren.
«Magisch, beinahe mystisch» beschreibt Archäologe Horn (83) die Atmosphäre in der Grabkammer, und er übertreibt nicht. Als die Neuerschließung vor einigen Jahren begann, gab es Bestrebungen, alles mit einer Glasscheibe zu versiegeln und die Besucher nur von außen hineinschauen zu lassen – schließlich ist das Grab auch eine Schatzkammer voller Kostbarkeiten. Doch dagegen hat sich Horn erfolgreich gewehrt: «Ich habe gesagt ‚Ich wette, dass sich die Leute hier unten benehmen‘. Und genauso ist es gekommen.» Es sei die Atmosphäre des Ortes, die die Menschen still werden lasse.
Horn widerstand auch der Versuchung, den Raum mit Informationen zu überfrachten, es gibt hier unten sogar überhaupt nichts Schriftliches. «Die Leute sollen hier reinkommen und sich ganz von der Stimmung gefangen nehmen lassen. Sie sollen sagen ‚Boah!‘ Mehr nicht.»
Sessel und Liegen
Die größte Überraschung in der Kammer sind zwei Sessel. Korbsessel mit Sitzkissen – so sehen sie jedenfalls aus. In Wirklichkeit sind sie aus Kalkstein. Ihr Design unterscheidet sich in nichts von heutigen Modellen – was dazu führte, dass sich einmal im Hochsommer eine Lehrerin erschöpft auf einen der Sessel fallen ließ, offenbar in der Annahme, der könne nun wirklich nicht antik sein. In die Wand sind Liegen eingelassen, die sogar dazu einladen, sich der Länge nach hinzulümmeln.
Das habe damit zu tun, dass man ein Grab zu römischer Zeit regelmäßig besucht und dort auch Mahlzeiten abgehalten habe, erklärt Horn. «Es ist nicht nur eine Grabkammer, sondern auch ein Speiseraum.» Bei diesen Gruft-Gelagen hatten die Menschen dann das Gefühl, ihren verstorbenen Verwandten besonders nahe zu sein. Die Porträtbüsten stellen solche Familienmitglieder dar. In einem Fall wurde dafür der Kopf einer schon vorhandenen Mätressen-Figur verwendet, die möglicherweise als Zierfigur im Haus der Familie stand. Dafür ließ man die Frisur, die damals für Prostituierte typisch war, umarbeiten. «Das wollte man Tante Emma schließlich nicht zumuten.»
Weiches Spätnachmittagslicht fällt durch einen Schacht auf den Sarkophag aus Carrara-Marmor, den ein Gutsbesitzer um 300 nach Christus für sich und seine Frau anfertigen ließ – ein teures Importstück also. Die Familie, die hier gelebt habe, müsse den Status heutiger Oligarchen gehabt haben, sagt Horn. Nur die Allerreichsten hätten sich so etwas leisten können. Immerhin: Das Geld war gut investiert. Heute noch zeugt das Totenreich an der Aachener Straße von der Welt der Lebenden vor fast 2000 Jahren.