Ein Angestellter, der morgens als Riesen-Ungeziefer aufwacht, ein unbescholtener Mann, der einfach abgeholt und eingesperrt wird und nicht weiß, warum. Die beängstigenden und auf den ersten Blick absurden Szenarien, die Franz Kafka mit seiner einzigartigen Art, das Schrecken in nüchterne Worte zu fassen, geschaffen hat, gehören auch 100 Jahre nach seinem Tod zu den größten Werken der (deutschsprachigen) Literatur.
Das Erste nimmt Kafkas 100. Todestag am 3. Juni dieses Jahres nun zum Anlass für einen Versuch, sich mit einer Miniserie dem Mann zu nähern, der in seinem kurzen Leben (1883-1924) so Großes und Rätselhaftes geschaffen hat. Von diesem Mittwoch an (20.3.) ist «Kafka» in der ARD-Mediathek zu sehen, kommende Woche (am 26. und 27. März) dann auch im linearen ARD-Fernsehen.
In sechs Folgen, die sich dem Autor über die Menschen nähern, die ihm nahestanden oder prägten, werden Leben und Werk des großen Dichters – der darin in einer Mischung von echter Unsicherheit und Koketterie von sich sagt «Ich bin – wenn überhaupt – ein sehr kleiner Dichter» – brillant verwoben.
«Er war in meinen Augen ein Meister der Beobachtung. Er hat nie nur „geschaut“», sagt Kafka-Darsteller Joel Basman, der seine Arbeit ganz hervorragend macht und sich freut, auch «eine sehr lustige Seite» an dem Schriftsteller entdeck zu haben, der Deutschen Presse-Agentur. In der Serie wird Kafka einmal mit dem Satz zitiert: «Betrachten Sie mich als Traum.»
Doch nicht nur Kafka war ein solch guter, detailverliebter, Beobachter – die Macher dieser Serie auch. Wenn der Schaffner im Zug, in dem Kafkas bester Freund und Nachlass-Bewahrer Max Brod (David Kross) und seine Frau in letzter Minute vor den Nationalsozialisten aus Prag fliehen wollen, ihnen mit der berühmten Türhüter-Parabel («Vor dem Gesetz») antwortet, dann zeigen Regisseur David Schalko und Drehbuchautor Daniel Kehlmann, wie tief sie sich eingearbeitet haben in das komplexe Werk.
Wenn Kafka sich bei der Konfrontation mit seiner Dauerverlobten Felice Bauer (Lia von Blarer) fühlt wie Josef K. in seinem «Prozess», dann fällt auch jener vielleicht berühmteste erste Satz der deutschsprachigen Literatur: «Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.»
Eine ungewöhnlich erzählte, detailverliebte, fesselnde Serie ist «Kafka» geworden – im allerbesten Sinne kafkaesk. Dazu trägt auch die durchweg hervorragende Besetzung bei. Allein Lars Eidinger als sehr unheimlicher Rainer Maria Rilke ist ein Hochgenuss.
Die ARD hat die Serie offenbar – mit berechtigtem Stolz – einigen der großen Literaten unserer Zeit gezeigt. Denn im Presseheft wird niemand Geringerer als Salman Rushdie zitiert mit den Worten: «Kafkas Werke sind mit außergewöhnlicher Könnerschaft in sein Leben eingewoben. Die Serie erweist einem der wahrhaften Giganten der Literatur des 20. Jahrhunderts eine großartige Reverenz.» Ian McEwan hat demnach geäußert: «“Kafka“ ist einfach brillant.»
Die ARD-Serie ist ein überaus gelungener, aber nicht der einzige künstlerische Versuch, sich dem Phänomen Kafka zum 100. Todestag des Schriftstellers zu widmen. Mitte März kam der Film «Die Herrlichkeit des Lebens» über das letzte Lebensjahr des Autors und seiner letzten Liebe Dora Diamant ins Kino.