Es war eine seiner zahllosen Auszeichnungen und sie passte besonders gut zu ihm: Die Akademie der Wissenschaften und der Literatur widmete dem Komponisten Aribert Reimann 2016 den Robert Schumann-Preis für Dichtung und Musik. Sie würdigte damit ein musikalisches Ausnahmetalent, das sich besonders der menschlichen Stimme, dem Zusammenklang von Sprache und Musik verschrieben hatte. Am Mittwoch ist Reimann im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.
Eigenen Weg gehen
Der gebürtige Berliner galt unangefochten als einer der wichtigsten und meistgespielten zeitgenössischen Komponisten – und war doch auch ein Außenseiter. Zeitlebens widersetzte er sich dem «Zwang der Avantgarde» und entwickelte jenseits von Trends und Zeitgeist eine besondere Musiksprache, expressiv und ausdrucksstark.
«Ich habe immer versucht, meinen eigenen Weg zu gehen und meinen eigenen Stil zu finden», sagte er der Deutschen Presse-Agentur zu seinem 80. Geburtstag. «Man muss sich selbst treu bleiben.» Die Jury des renommierten Ernst-von-Siemens-Musikpreises nannte ihn 2011 bei der Auszeichnung für sein Lebenswerk den «unumstrittenen Meister der Vokalmusik».
Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehörten in jüngster Zeit der deutsche Theaterpreis Der Faust (2018) und erst in diesem Jahr der Gema-Musikautor*innenpreis, jeweils für das Lebenswerk. Die letzte Auszeichnung nahm er im Februar noch persönlich entgegen.
Mehr als siebzig Musikwerke
Die Liebe zum Gesang prägte den 1936 geborenen Künstlersohn von früh auf. Sein Vater hatte nach dem Krieg als Direktor den Staats- und Domchor Berlin aufgebaut, seine Mutter war Professorin für Sologesang. Als der Zehnjährige im Berliner Hebbel-Theater erstmals die Knabenrolle in Bertolt Brechts Oper «Der Jasager» übernahm, war seine Entscheidung besiegelt. «Ich wusste, irgendwann komme ich wieder. Ich wusste nur noch nicht, wie.»
Mehr als siebzig Musikwerke entstanden in der Folge – Liederzyklen, Instrumentalstücke, Orchesterwerke und neun Opern. Sein jüngstes Musiktheaterwerk «L’Invisible» basierte auf drei Dramen von Maurice Maeterlinck und wurde 2017 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt.
Seinen größten Erfolg feierte er mit der 1978 in München uraufgeführten Oper «Lear», die er dem Sänger Dietrich Fischer-Dieskau (1925-2012) auf den Leib geschrieben hatte. Weltweit gab es inzwischen mehr als 25 Neuinszenierungen.
«Die Menschen ein bisschen aufrütteln»
Als Sternstunde der Opernwelt wurde auch die Vertonung des Flüchtlingsdramas «Medea» nach dem gleichnamigen Schauspiel von Franz Grillparzer gefeiert, der weibliche Gegenentwurf zum Shakespeareschen Königsdrama. Die Zeitschrift «Opernwelt» kürte die Auftragsarbeit für die Wiener Staatsoper zur besten Uraufführung das Jahres 2010.
Seine Texte, die Libretti, schrieb sich der Komponist schon früh selbst. «Ich möchte die Menschen ein bisschen aufrütteln», so Reimann. «Auch bei älteren Stoffen ist mir ein Zeitbezug immer wichtig. Sie müssen uns noch heute etwas angehen.»
Aufruf gegen den Krieg und für das Überleben
Ihm selbst war im Rückblick die Oper «Troades» nach einem Drama von Euripides ein besonderes Anliegen, ein Aufruf gegen den Krieg und für das Überleben. Angesichts der Flüchtlingskrise und der aktuellen Umbrüche weltweit bekomme sie nochmals eine besondere Bedeutung. Er selbst war im Krieg mit Bombenangriffen aufgewachsen, hatte als Achtjähriger dabei seinen Bruder verloren und 1945 die «Nacht von Potsdam» erlebt.
Neben seiner Arbeit als Komponist war Reimann jahrzehntelang auch als Liedbegleiter am Klavier erfolgreich. «Bau Dir das aus. Die ersten 20 Jahre kannst Du vom Komponieren nicht leben», hatte seine Mutter ihm schon früh geraten. Seine wichtigsten langjährigen Partner wurden der Bariton Fischer-Dieskau und die Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender (84).
«Nach vorne schauen, ins Ungewisse»
Zwar gab er den «Brotberuf» wegen der Arbeitsbelastung in den 90er Jahren auf. Bis zu seiner Pensionierung blieb er aber – zunächst in Hamburg, dann in Berlin – Professor für das zeitgenössische Lied. Sängerinnen wie Claudia Barainsky (58), Christine Schäfer (58) oder Stella Doufexis (1968-2015) kommen aus seinen Klassen.
Reimann arbeitete noch im hohen Alter im Turmzimmer seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Schmargendorf. Er kenne Menschen seiner Generation, die nur in der Vergangenheit lebten, sagte er einmal. «Das finde ich fürchterlich. Ich muss nach vorne schauen, ins Ungewisse.»