Campino: «Unser Lebensgefühl kam aus England.» (Urheber/Quelle/Verbreiter: Oliver Berg/dpa)

«Nach zwölf Jahren Nazi-Diktatur war nicht viel übrig geblieben, was frech war. Die jüdischen Künstler waren vertrieben oder ermordet. Die Jugend hatte sich von der deutschsprachigen Musik abgewandt. Unser Lebensgefühl kam aus England.» Tote-Hosen-Sänger Campino (61) hat bei seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor der Heinrich-Heine-Universität die Entstehung der Punkmusik als späte Reaktion auf die NS-Zeit beschrieben.

Allerdings hätten Ton Steine Scherben die Abrechnung mit der Eltern-Generation («Ich will nicht werden, was mein Alter ist.») bereits zehn Jahre früher erledigt. «Das war Punk, aber die haben wir damals nicht gehört, weil es Hippies waren.»

In Düsseldorf habe damals Joseph Beuys mit seinem Satz: «Jeder Mensch ist ein Künstler» ein Prinzip ausgerufen, das auch im Punk gegolten habe: «Stell Dich auf eine Bühne und spiel!» Er selbst habe sich damals an reaktionären Texten wie denen von Freddy Quinn («Wir») abgearbeitet. 

«Keine Vorlesung besucht»

An der Uni Düsseldorf sei er jahrelang als Student für Englisch und Geschichte eingeschrieben gewesen, verriet Campino. «Aus terminlichen Gründen habe ich es nicht geschafft, eine Vorlesung zu besuchen.» Die Uni habe ihm sein jahrelanges Fernbleiben zum Glück nie übel genommen und er habe immer brav seinen Studentenbeitrag überwiesen. 

Bei einem Auftritt mit den Toten Hosen in der Uni-Mensa seien dann 1985 aber auch noch Deckenleuchten und Klos zu Bruch gegangen «Das war der Moment, wo ich mit einem Hausverbot rechnen musste – aber ich war es ja nicht», sagte der Rockmusiker.

Uni-Rektorin Anja Steinbeck sagte, Campino sei als Gastprofessor eine fast zwingende Besetzung. Schon Professur- und Uni-Namensgeber Heinrich Heine sei gegen Establishment und überkommene Konventionen angetreten.

«Wir alle gegen die Dummheit»

«Als Systemkritiker kann ich kaum noch herhalten. Ich komme als Elder Statesman», sagte Campino. «Ich bringe nichts mit, außer Begeisterung für Texte, die mir etwas bedeuten.» Das waren Texte von Kästner, Brecht, Wader, Heine – mal als Gedicht, mal als Lied. 

«Die gesammelten Gedichte von Erich Kästner sollte jeder gelesen haben, empfahl Campino. Und: «Wir stehen vor einer großen Aufgabe. Wir alle gegen die Dummheit. Da wird jede Stimme gebraucht.»  

30.000 Menschen hatten sich um einen Platz in Campinos Vorlesung beworben, 650 passten in den größten Hörsaal der Uni. Titel der Antrittsvorlesung: «Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik».  

Vor Campino waren Helmut Schmidt, Juli Zeh, Wolf Biermann, Siegfried Lenz, Joschka Fischer, Antje Vollmer, Karl Kardinal Lehmann, Ulrich Wickert, Joachim Gauck und zuletzt Klaus-Maria Brandauer Heine-Gastprofessoren. Erster Heinrich-Heine-Gastprofessor war 1991 Marcel Reich-Ranicki.

Von Frank Christiansen, dpa