Böhmermann bringt «Hallo Spencer» zurück – aber ohne Remake
Bei der Premiere von «Hallo Spencer - Der Film» beim Filmfest München steht Drehbuchautor Jan Böhmermann (rechts) zusammen mit dem Puppenerfinder Winfried Debertin (ganz links) und den Schauspielern Achim Hall (2.v.l) und Rainer Bock zusammen. Der Film kommt jetzt in die Mediathek und dann auch ins ZDF-Fernsehprogramm. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Stefan Puchner/dpa)

Es gab einmal – wenige werden sich erinnern – eine Zeit, in der man beim Namen «Poldi» nicht an einen Fußballer mit strammem Schuss aus Köln dachte, sondern an einen Drachen mit Grammatikschwäche. In der Kinderserie «Hallo Spencer» bevölkerten vor mehreren Jahrzehnten eigentümliche Puppen ein Dorf – etwa der namensgebende Spencer (ein krötenartiger Fernsehmoderator mit Schiebermütze), der friedfertige Baumhaus-Bewohner Kasimir und der Bücherwurm Lexi. Und eben «Jungdrache» Poldi, der ungelenk drohte: «Ich will Dir fressen!» Was aus ihnen geworden ist? Das fragten sich wohl und wussten auch nur wenige Leute. Einer davon ist: Jan Böhmermann.

Der Satiriker, der in seiner Show «ZDF Magazin Royale» eher erwachsene Themen bearbeitet, hat sich ausgerechnet eine halb vergessene Kinderserie ausgesucht, um einen abendfüllenden Spielfilm zu machen. Nach einer Premiere auf dem Filmfest München im Sommer ist «Hallo Spencer – Der Film» ab 13. Dezember für ein größeres Publikum verfügbar – in der ZDF-Mediathek. 

Im Fernsehen wird er am 25. Dezember (20.15 Uhr, ZDFneo) und am 27. Dezember (23.45 Uhr, ZDF) ausgestrahlt.

Es geht um den Erfinder

Wer anhand des Filmtitels ein ebenso schnell konsumierbares wie fluffiges Remake der von 1979 bis 2001 produzierten Serie (NDR/ARD) erwartet, wird sich aber gehörig wundern. Böhmermann legt, wie es so seine Art ist, zwei bis drei Folien obendrauf, durch die man dann auf die flauschigen Puppen blicken darf. Hinzu kommen zahlreiche Anspielungen, satirische Elemente und eine Art Musical-Einlage mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. Manchmal wirkt es, als wuselten Ideen umher wie einst die Puppen im «Hallo Spencer»-Dorf.

Im Kern dreht sich der Film um den «Spencer»-Erfinder, der im Film Jakob Sesam heißt und von Rainer Bock gespielt wird. Unschwer lässt sich die Figur als Winfried Debertin deuten, den echten Erfinder der Puppen-Show. Gezeigt wird, wie dieser Mann nach Ende allen Ruhms um ein Comeback kämpft.

In einer alten Großraumdisco hortet er Utensilien aus seiner längst abgesetzten Serie. Für ihn leben die Puppen – und so werden sie auch gezeigt. Sollte Sesam aber kein Geld auftreiben, droht ihnen das Ende. Die Disco soll abgerissen werden.

Sesam taucht daher in die moderne Entertainment-Welt ein. Er trifft auf sehr austauschbar inszenierte Streaming-Dienste und ein Verleger-Paar, das auf Umwege an die Rechte für das Puppen-Universum gekommen ist.

«Wir standen da und konnten es nicht fassen»

Auch wenn man gerade in diesen Szenen den typischen Böhmermann-Kommentar zum deutschen Medienbetrieb, Geld und Macht zu hören glaubt – der Satiriker selbst nennt den Film ein «Märchen». «Der Film ist so, wie er ist, weil er nicht anders sein kann», sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

Was er damit meint, ist auch die aberwitzige Entstehungsgeschichte der Produktion. Über seine Show entstand einst ein Kontakt zu Winfried Debertin. In der Folge habe man den «Spencer»-Schöpfer besucht, berichtet Böhmermann – und sei tatsächlich in einer baufälligen Großraumdisco gelandet, dem «MicMac» in Moisburg. Da es keinen Strom mehr gegeben habe, sei man mit Taschenlampen in das Bauwerk gegangen. 

«Es war, als würde man den Kopf von Winfried Debertin betreten», erinnert sich Böhmermann. «Er hatte da über all die Jahre wie ein Drache seinen Schatz gehütet.» Zugleich sei klar gewesen, dass die gesammelten Puppen, Requisiten und Drehbücher akut bedroht waren. «Es hieß: Die Disco wird abgerissen, das muss alles raus, weil ein Altenheim dahin soll», sagt Böhmermann. «Wir standen da und konnten es nicht fassen.» 

Schnell sei klar gewesen, dass ein vermeintlich kultiges «Hallo Spencer»-Revival nicht die Lösung sein konnte. «Dafür war die ganze Geschichte zu traurig und dramatisch und auch irgendwie skurril. Und auch ein bisschen lustig», sagt Böhmermann. Es wurde daher ein Film über Debertin – aber mit den Puppen, renovierten Original-Kulissen und vielen Original-Puppenspielerinnen und -Spielern. 

Böhmermann selbst spielt auch eine kleine Rolle, die nur Kenner der Materie erkennen können. Wer recherchieren mag, sollte sich das schlaksige Knetmännchen aus dem alten Serien-Vorspann mal anschauen.

Das Lebenswerk wird vor die Tür gekippt

Für den Moderator, Jahrgang 1981 und damit voll in der damaligen «Spencer»-Zielgruppe, war es auch eine Konfrontation mit der eigenen Geschichte. Die Serie ist auch Teil seiner Kindheit. Und plötzlich blickte er auf die legendäre Rohrpost von «Hallo Spencer». «Die stand da und hatte unten einen Marderbiss dran», stellt Böhmermann fest. Das macht etwas mit einem, wie man heute in Talkshows sagen würde.

Zum anderen sind Böhmermann und seine Mitstreiter (Drehbuch: Jan Böhmermann, Elias Hauck, Tim Wolff) selbst Teil der Medienmühle, von der niemand weiß, in welchem Zustand er sie verlassen wird. Aus Böhmermann platzt es geradezu heraus: «Stell dir mal vor, du bist Künstler und dann irgendwann ist es vorbei mit der Kunst und es kommt jeden Monat ein Lieferwagen vom Sender und kippt dir dein Lebenswerk vor die Tür.»

Mittlerweile sind die Puppen an einem halbwegs sicheren Ort. «Wir haben jetzt sechs Übersee-Container in Hamburg stehen, mit Requisiten, Kulissen und Aktenordnern von „Hallo Spencer“», sagt er. Nach dem Film sehe man weiter.

Von Jonas-Erik Schmidt, dpa