Fritzi Jandorf, Tochter des Kaufhaus-Direktors, möchte einen Herrenanzug. Verkäuferin Hedi hilft beim Anziehen und in der Umkleidekabine knistert es zwischen beiden.
Schon in den ersten Szenen der Serie «Eldorado KaDeWe» wird das große Thema ausgerollt, das so noch nicht um 20.15 Uhr im deutschen Fernsehen zu sehen war: Es geht um lesbische Liebe und die Welt homosexueller Frauen – und das nicht im Rosamunde-Pilcher-Stil.
Die wilden Zwanziger
Die Serie über das legendäre Berliner Luxusgeschäft Kaufhaus des Westens (KaDeWe) spielt in den 1920er Jahren, zwischen Exzessen im brodelnden Nachtleben, Inflation und dem vielzitierten «Tanz auf dem Vulkan», bevor die Nazis gewählt wurden. Das ist zurzeit ein beliebtes Fernseh-Zeitalter, siehe «Babylon Berlin» und bald «Torstraße 1».
Regie bei «Eldorado KaDeWe» führt Julia von Heinz («Und morgen die ganze Welt»). Die Prognose ist nicht gewagt, dass sie mit ihrem Serien-Erstling Preise gewinnen könnte.
Nach dem Start in der ARD-Mediathek am 20. Dezember laufen alle sechs Folgen auf einen Schwung am 27. Dezember den ganzen Abend lang im Ersten – ein Angebot für einen Serienmarathon. Nicht nur dieser Programmplatz ist ungewöhnlich.
Und das heutige Berlin
In der historischen Szenerie sieht man immer wieder das Berlin von heute – elektrische Roller, moderne Autos, Street Art. Das ist gewollt. Ein Gegenwartskonzept, das zeigen soll, dass die Themen der Serie noch heute aktuell sind: Judenhass, Emanzipation, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit. Dazu passt der von Musikerin Inga Humpe (2Raumwohnung) geprägte Soundtrack.
Das Konzept hat optisch den Vorteil, dass der Blick weg davon geht, ob alles möglichst echt aussieht. Daran kranken deutsche Serien manchmal. Verglichen mit internationalen Hits wie «The Crown» wirken hiesige historische Produktionen dann aufgebaut und künstlich, sie entwickeln vor lauter Klappern der Pferdehufe erst gar keinen Sog.
«Eldorado KaDeWe» (Untertitel: «Jetzt ist unsere Zeit») ist als Serie manchmal derb und trägt auch mal dick auf, nicht alles ist perfekt. Aber sie macht vieles gut, auch weil sie nicht zu viele Stränge in der Handlung hat.
Die Geschichte verbindet vier Menschen wie ein Kleeblatt. Da ist der Juniorchef Harry Jandorf (Joel Basman), ein zu Drogen und Exzessen neigender, sprudelnder Kerl, den sein Trauma aus dem Ersten Weltkrieg in Gestalt eines Kameraden mit abgerissenen Beinen verfolgt. Sein Konterpart ist Georg Karg (Damian Thüne), der schüchterne wie vermeintlich vernünftige Buchhalter.
Beide wollen das KaDeWe retten, in Zeiten der Wirtschaftskrise, als ein Brot 86.000 Reichsmark kostet. Ein Weg: reiche Kunden aus dem Ausland (so wie heute). Wird das Kaufhaus so überleben? Wird Konkurrent Tietz (gespielt von Comedian Oliver Polak) zum Zuge kommen? Sowohl Harry Jandorf als auch Georg Karg gab es wirklich. Ebenso wahr ist, dass der Hertie-Konzern in den 1920er Jahren das KaDeWe übernahm und 1933 von den Nazis enteignet wurde. Auch die lesbische Szene in der Reichshauptstadt inklusive eigener Zeitschriften und das Lokal «Eldorado» existierten wirklich.
Echte Entdeckungen
Ausgedacht sind die Jandorf-Tochter Fritzi und die Verkäuferin Hedi. Fritzi (Lia von Blarer) verkörpert den Typus «Die Neue Frau» der Weimarer Republik: eigenständig und eigensinnig, mit Hosen und Pagenkopf. Hedi (Valerie Stoll) wohnt in bitterer Armut in einem Hinterhof, mit ihrer Schwester Mücke (Neele Buchholz), die das Down-Syndrom hat. Die Ehe mit Rüdiger (Tonio Schneider) soll Hedi ein besseres Leben bringen. Doch die Liebe zu Fritzi stellt alles auf den Kopf. Die (noch) unbekannten Schauspielerinnen Lia von Blarer und Valerie Stoll sind dabei eine echte Entdeckung.
Im Berlin nach dem Ersten Weltkrieg lebten deutlich mehr Frauen als Männer. Die Erzählung der Serie spiegelt das, und es passt zur heutigen Debatte, die mehr Frauen im Fernsehen einfordert. Lesbische Liebe zu zeigen, ist dabei keine Avantgarde, die Serie «The L Word» oder Kinofilme wie «Blau ist eine warme Farbe» und frühere Vorläufer waren wegweisend.
Eine lesbische Liebe zur Primetime
«Eldorado KaDeWe» ist da keine Revolution, aber verbindet Unterhaltung mit gesellschaftlicher Relevanz, setzt auf Diversität. Julia von Heinz sagt: «Neuartig ist, dass wir zur Primetime jetzt mal eine große lesbische Liebesgeschichte erleben dürfen, ohne dass hier gesagt wird: Das ist anders und das ist problematisch. Sie wird uns erzählt wie uns sonst viele Liebesgeschichten an Weihnachten in großer Form erzählt werden.» In den intimen Szenen zwischen den Frauen geht es nicht um Blümchensex. «Das war uns wichtig.»
Bei den Szenen waren nur wenige Leute im Raum, wie von Heinz erzählt. Sie habe nach dem Prinzip der «Intimacy Coaches» gearbeitet, das sind Fachleute, die dafür sorgen, dass keine Grenzen überschritten werden. Eine ihrer Beobachtungen am Rande der Serie: «Bei uns sind während der Dreharbeiten Frauen zu Paaren geworden, die vorher nicht wussten, dass sie lesbisch sind. Dieser Raum hat sich einfach geöffnet.»
Gedreht wurde die Serie in Budapest und in Berlin, und dort auch im Eingangsbereich des echten KaDeWe am Wittenbergplatz. Von Heinz verspricht eine ganz lange «Binge-Nacht», also eine Serie zum Hintereinander-Weg-Gucken. «Man schaltet um 20.15 Uhr ein: Dann wird es sehr emotional. Es wird immer spannender und um 1.30 Uhr ist man fertig mit dieser Serie und hat wirklich viel erlebt, zusammen mit meinen vier Hauptfiguren.» Und das lohne sich.