Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, steht im Museum K20 vor einer Sammlung von Joseph Beuys. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marcel Kusch/dpa)

Das breite Lachen, der durchdringende Blick, der Filzhut, die Fettecken und der legendäre Spruch: «Jeder Mensch ist ein Künstler»: Joseph Beuys hat die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg revolutioniert wie kaum ein anderer Künstler.

Am 12. Mai 2021 wäre der Mann vom Niederrhein 100 Jahre alt geworden. Vor 35 Jahren, im Januar 1986, starb der Ausnahmekünstler an einem Pilz in der Lunge.

Allein zwanzig Museen und Institutionen in Nordrhein-Westfalen sowie Museen in Berlin, Stuttgart, Darmstadt und Wien wollen Beuys im Jubiläumsjahr 2021 Ausstellungen widmen. Schon Ende März soll der Ehrenreigen beginnen – und alle hoffen, dass die Corona-Pandemie die seit langem geplanten Präsentationen nicht durchkreuzt.

Beuys auszustellen ist ohnehin eine Herausforderung für sich. Der Fett- und Filzmagier war schließlich mehr als ein Künstler: Er war Gesellschaftskritiker, Aktivist für Demokratie und Ökologie, Weltverbesserer, Kunstprofessor, Mitbegründer der Grünen, Schamane und ein Medienstar. In Museen zu sehen sind heutzutage bekritzelte Schultafeln, mächtige Basaltstelen mit eingebettetem Filz, riesige Talg-Blöcke oder Vitrinen mit kultischen Objekten wie für eine Reise ins Jenseits. Sie sind schwer zu entschlüsseln, denn es handelt sich oft um Überreste der spektakulären Aktionen von Beuys. Ohne ihren Urheber schweigen die Werke den Betrachter einfach nur an.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf will Beuys im Jubiläumsjahr daher auf andere Weise in Erinnerung rufen. Ende März soll die Ausstellung «Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys» im K20 den Auftakt des Beuys-Jahres bilden. «Wir hoffen, dass trotz Corona alles wie geplant läuft und wir bis März unsere Museen wieder öffnen können», sagt Direktorin Susanne Gaensheimer. «Wir haben alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen und Hygienekonzepte erstellt.»

Die Kunstsammlung konzentriere sich ausschließlich auf Beuys‘ Aktionen und performative Arbeiten, die in in Form von Filmen und Fotografien dokumentiert werden sollen, so Gaensheimer. Beuys solle dabei in einen Dialog mit Werken von internationalen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern auch aus nicht-westlichen Ländern gestellt werden.

Gaensheimer will keine Schlittenrudel, geschichteten Filz oder 1000 Kilo schwere Bronze ausstellen, wie es bei der Düsseldorfer Beuys-Schau vor zehn Jahren der Fall war. Denn die Installationen seien in den meisten Fällen nur Relikte von Aktionen, die Beuys danach in den Museen selbst eingerichtet habe, sagt sie. «Wenn wir solche Installationen in Ausstellungen rekonstruieren, wie viel von der lebendigen Energie von Beuys können wir da hinüberretten?» Dieselbe Frage stelle sich auch bei Ausstellungen zu Christoph Schlingensief (1960-2010), sagt Gaensheimer. «Er war ein Mensch, dessen Kunst ganz wesentlich von seiner Energie, Ausstrahlung und seinem Humor gelebt hat. So war es auch bei Joseph Beuys.»

Schon die geplante Eröffnung des Beuys-Jahres ist ein künstlerischer Kraftakt: 24 Frauen und Männer sollen zum Auftakt im März in der Kunstsammlung 24 Stunden lang Musik von Erik Satie spielen – eine Reminiszenz an Beuys‘ Beschäftigung mit dem Werk von Satie und Anspielung an ein 24-Stunden-Happening im Juni 1965 in Wuppertal.

Bis ins Jahr 2022 reichen die Veranstaltungen zu Beuys. Die Bundeskunsthalle zeigt seine Schlüsselwerke, das Museum Schloss Moyland mit der größten Sammlung früher Beuys-Werke thematisiert den Schamanismus. Das Ruhr Museum in Essen will die gesellschaftspolitische Dimension im Werk von Beuys zeigen. Geplant sind auch ein «Beuysradio», Theater, Performances und ein Orchesterwerk des Komponisten Heiner Goebbels.

Auch eine Beuys-«Bibel» wird zum Jubiläum aufgelegt. 50 Autoren erstellen ein 450-Seiten-Handbuch, ein Nachschlagewerk für Wissenschaftler und Laien: Beuys und Italien, Japan und die USA, Beuys und Böll, Goethe und Heinz Sielmann, Beuys und die Anthroposophie und Alchemie, Beuys‘ Jugend im Nationalsozialismus und die frei erfundene Legende von seiner angeblichen Rettung durch Tataren nach dem Absturz auf der Krim 1944 – in allen erdenklichen Facetten wird der Jahrhundertkünstler auch kritisch beleuchtet.

Dabei ist die Frage, wie aktuell Beuys heute überhaupt noch ist. «Hochaktuell», besonders angesichts der in der Corona-Krise oft gestellten Frage, wie wir künftig leben wollten, sagt Bettina Paust. Dazu müsse man nur Beuys‘ «Aufruf zur Alternative» von 1978 erneut lesen, so die frühere Leiterin des Beuys-Museums Moyland am Niederrhein und Mitherausgeberin des Handbuchs. In dem Manifest von 1978 beschreibt Beuys die Welt in einer Krisensituation und schlägt neue Modelle für Arbeit, Produktion und das Finanzsystem vor.

Noch etwas mache Beuys aktuell: «Beuys versuchte, die Kunst mit der sozialen Plastik von einem elitären Sockel zu holen und sie in die Lebenswirklichkeit der Menschen zu überführen», sagt Paust. Die «soziale Plastik», das zentrale Konzept im Beuysschen Kunstkosmos, besagt, dass jeder Mensch kreative Potenziale hat, die es zu entdecken und dann im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen gilt.

Im Kern heißt das mit Beuys‘ Worten: «Jeder Mensch ist ein Künstler.» Wohl auch deshalb nahm Beuys einst Hunderte Studenten in seiner Düsseldorfer Akademie-Klasse auf – und wurde dafür als Professor von dem damaligen NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau gefeuert. Heute indes würde man Beuys‘ seinerzeit als Provokation empfundenes Vorgehen im Kunst- und Kulturbetrieb wohl mit dem Begriff der Partizipation umschreiben. Paust: «Das ist letztendlich das, was Beuys wollte.»

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