Größter Hollywood-Star der Filmgeschichte, Archetyp für den Begriff des «Sexsymbols», ein tragisch kurzes Leben: Der Mythos Marilyn Monroe ist vermutlich noch lange nicht auserzählt.
Nun hat Regisseur Andrew Dominik den Roman «Blond» von Joyce Carol Oates über das Leben der Schauspielerin (1926-1962) verfilmt. Die aus Kuba stammende Schauspielerin Ana de Armas ist in der Hauptrolle der Netflix-Produktion zu sehen, die ab 28. September bei dem Streamingdienst abrufbar ist.
Doch der australische Regisseur schafft es nicht, der Geschichte Monroes etwas Neues abzugewinnen. Monroe, das heißt in den Augen Dominiks vor allem: Opfer.
Den Zuschauerinnen und Zuschauern wird das Leben einer Frau präsentiert, die auf verschiedenen Ebenen Opfer des Patriarchats wurde. Männer haben sie im Privaten wie im Beruflichen ausgebeutet. Wir sehen einen Hollywood-Studioboss, der Monroe vergewaltigt. Einen Partner, der sie schlägt und ihr vorwirft, sich zu sexy zu kleiden.
Wir sehen eine Frau, die von ihrer überforderten und später in die Psychiatrie eingewiesenen Mutter in Pflegefamilien gegeben wurde. Die zeit ihres Lebens auf der Suche nach einer Vaterfigur war – ihren wahren lernte sie den Erzählungen nach nie kennen – und etwa ihren Partner Arthur Miller (gespielt von Adrien Brody) als «Daddy» anspricht. Immerhin wird im Zuge dieser Liaison auch kurz Monroes literarisches Interesse gewürdigt.
Wir sehen eine Frau, die von Horden geifernder Paparazzi bedrängt wird. Und am Ende wegen der gnadenlosen Objektifizierung ihrer Person, der Suche nach Geborgenheit und ihren fehlschlagenden Versuchen, eine Familie zu gründen, zerbricht.
War sie wirklich so ausgeliefert?
Das alles ist schockierend und auch 60 Jahre nach dem Tod der Hollywood-Ikone noch aktuell. Zweifelsohne wurde Monroe Opfer dieser unhaltbaren Zustände und es ist gut, das zu thematisieren. Doch ist damit schon alles gesagt? War Norma Jeane Baker alias Monroe wirklich immer so passiv und ausgeliefert, wie sie im Film dargestellt wird?
Was wir zum Beispiel nicht erfahren: Monroe war in ihrem 36 Jahre währenden Leben nicht nur Model und die Schauspielerin, die sich für ihr Image die Haare bleichen ließ und eine hauchende Stimme annahm. Sie war auch Unternehmerin und gründete 1955 die Filmgesellschaft Marilyn Monroe Productions. Nur einmal wird im Film kurz angerissen, dass Monroe einen höheren Lohn für eine Filmrolle forderte.
Auch nicht thematisiert wird etwas, das im Kontext sexueller Belästigung und Monroe äußerst interessant ist. Schon 1953 schrieb Monroe einen Artikel mit dem Titel «Wolves I Have Known» für das «Motion Picture and Television Magazine». Darin erzählt sie von zahlreichen (anonymisierten) Männern, die sie belästigt haben – und traute sich damit Jahrzehnte vor der MeToo-Debatte, ein Thema anzusprechen, das ihr sicherlich nicht nur Freunde machte.
Sie erwähnt zum Beispiel einen Polizisten, der ihre Privatadresse herausgefunden und ihr aufgelauert habe. Und der Text wirft auch einen neuen Blick auf Aktfotos, die sie 1949 anfertigen ließ – und die im Film mehrmals gezeigt werden. Allerdings ohne Monroes Erklärung aus dem Artikel: Sie habe zu dieser Zeit keinen Cent gehabt und die Fotos, zu denen sie ein befreundeter Fotograf und dessen Frau überredeten, seien eine Geldquelle gewesen. «Natürlich sagten sie mir, sie würden mein Gesicht verbergen und niemand würde jemals erfahren, dass ich für sie posiert hatte – aber es stellte sich heraus, dass es ein Jahr später jeder wusste.»
Bekanntes Bild zementiert
Ein neuer Zugang wäre 2022 zum Beispiel eine Filmbiografie gewesen, die auf diesem Artikel basiert. Stattdessen haben Dominik und de Armas sich entschieden, ein feststehendes Bild zu zementieren.
De Armas versinkt völlig in der hauchenden, naiven Rolle, die Monroe sich als öffentliche Person zugelegt hatte. Auf den Filmfestspielen von Venedig, bei denen der Film Premiere feierte, brachte ihr das neben Kritik auch viel Lob ein. Doch war Norma Baker wirklich im Privaten auch immer so – oder hatte sie noch andere Charakterzüge?
Dominik hat sich zudem dazu entschlossen, die Geschichte Monroes in fieberhaften, symbolträchtigen Bildern zu zeigen, die auch mal über die Stränge schlagen. Etwa, wenn eine völlig fertige Monroe in die Privaträume des damaligen Präsidenten John F. Kennedy gebracht wird. Er begrüßt sie nicht mal und telefoniert gerade mit irgendjemandem wegen Anschuldigungen sexueller Übergriffe gegen ihn. Monroe gibt ihm einen Blowjob, während auf dem Fernseher ein Raketenstart läuft. Danach wird sie von Securitys herausgetragen.
Das ist so natürlich nicht überliefert. «Der Großteil des Films ist über Momente, die wir nicht kennen», sagte de Armas in Venedig. «Die intimen Momente, die sehr persönlichen, die nicht aufgezeichnet wurden.» In diesem Film geht es nicht wirklich um den Menschen Norma Jeane Baker, sondern um eine am Ende leider recht eindimensional dargestellte Kunstfigur.
Die Autorin Marilyn Monroe wiederum hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. In ihrem Artikel von 1953 schildert sie eine Episode mit einem Mann, der ihr bei einem Date in die Beine gezwickt und gesagt habe, er finde es attraktiv, wenn bei Frauen die Knochen zu sehen seien. Sie habe erwidert, wenn er Knochen so attraktiv finde, könne sie ihm ein Röntgenbild anfertigen lassen. «Bevor ich ging, erzählte er mir, er möge keine Mädchen mit Verstand, und ich sagte ihm „Das war das beste Kompliment, das ich je bekommen habe“.»