Burna Boy, Wizkid oder auch Drake – diese Namen sind aus der Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken und sie alle haben weltweite Afrobeats-Megahits hervorgebracht. Auch wer Hip-Hop und Pop nicht auf seiner Playlist ganz oben hat, kennt den Song «Jerusalema» des südafrikanischen Musikers Master KG, das in Deutschland vielleicht prominenteste Beispiel für Afrobeats. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Musikgenre?
«Der Begriff Afrobeats ist in Europa entstanden, im Vereinigten Königreich. Im Wesentlichen ist das elektronische Musik, da geht viel über die Arbeit mit Samples von Musiken, die es schon gibt, so wie auch im Hip-Hop», sagt Professor Udo Dahmen von der Popakademie in Mannheim. «Das Neue an Afrobeats ist die Betonung der afrikanischen Wurzeln. In Berlin und mehr noch in Hamburg sind viele neue Clubs entstanden, wo DJs Afrobeats spielen», so Dahmen.
Exzentrische Züge
In Afrobeats – mit dem Buchstaben s am Ende – steckt das Wort Afrobeat. Und das verweist auf den nigerianischen Multi-Instrumentalisten Fela Kuti, der das Genre zusammen mit seinem Schlagzeuger Tony Allen in den 1960er Jahren erfunden hat. Afrobeat wird öfter als psychedelische Musik beschrieben. Und das vermutlich, weil der Sound, den Kuti prägte, exzentrische Züge hat – alles gibt es im Überfluss: So schichten sich beim Afrobeat mehrere Rhythmen übereinander, ausgedehnte Improvisationen haben ihren Platz. Zudem hatten Kutis Bands an die zwei Dutzend Mitglieder und seine Lieder dauerten gerne mal zehn Minuten, mitunter auch mal eine halbe Stunde. «Beim Afrobeat kommen westafrikanische Musiktraditionen vor allem aus der Yoruba-Kultur zusammen mit Pop-Strömungen der 1950er Jahre, das Ganze gemischt mit Jazz und Soul und Funk», so der Musikprofessor Dahmen.
Aber der 1938 geborene Kuti machte nicht nur durch seine Musik von sich reden, sondern auch durch seinen Aktivismus. Damit gab Kuti dem Afrobeat einen besonderen Akzent. «Afrobeat beeinhaltet immer auch die politische Komponente. Seine Songs waren gleichzeitig immer ein politisches Statement», so Dahmen. Zum Beispiel «Zombie»: In dem 12 Minuten langen Stück von 1976 kritisiert Kuti die nigerianischen Soldaten als Untote, als Zombies. Er griff die damalige Militärdiktatur offen an, kam mehrfach ins Gefängnis. Soldaten brannten 1977 seine Kommune «Kalakuta Republic» in der Küstenstadt Lagos nieder, seine Mutter Funmilayo Ransome-Kuti – selbst eine bekannte Frauenrechtlerin – wurde dabei schwer verletzt und starb ein Jahr später. Kuti ließ sich auch davon nicht beirren, bis zu seinem Tod – im Jahr 1997 an Aids.
Optimistische Welle
Gut ein Vierteljahrhundert später wird Kuti wiederentdeckt – gerade von jungen Leuten: «Natürlich kommt man 2023 um Fela Kuti nicht drumrum. Kultur ist ja ein Icebreaker und geht erstmal vor. Afrika ist im Kommen. Und da steht Kuti ganz weit oben: Er war Kosmopolit, politisch und Künstler. Er hat das mit Selbstverständnis in die Welt getragen und überall Konzerte gespielt. Das gibt er heute jungen Leuten weiter. Da gibt es eine optimistische Welle, das schafft Energie, davon bin ich überzeugt», sagt Dahmen.
Auf seinen Reisen etwa im Senegal und in Namibia habe er eine global denkende junge Generation kennengelernt. Das ist tatsächlich im Sinne des nigerianischen Ausnahmemusikers, wie ein Zeitzeuge erzählt: «Kuti war es wichtig, die jungen Leute zu erreichen», sagt Mallam Abdul, der das Kuti-Museum in Lagos kuratiert hat und den Musiker als Jugendlicher persönlich kannte. So habe Kuti zum Beispiel nach Schulschluss um zwei Uhr nachmittags Konzerte gespielt. «Alles war bis spätestens 21 Uhr zu Ende, so dass jeder Schüler im Bett sein konnte, wenn sie das abends in den Internaten kontrolliert haben.»
In den 1970er Jahren hörte auch der junge Abdul Kuti in seinem Club live spielen. Abdul, dessen Stiefvater mit Kuti befreundet war, erinnert sich an ihn als außergewöhnlichen Menschen. «Sein Leben war pures Drama. Er lebte es nach seinen ganz eigenen Regeln. Er war nicht dafür da, irgendjemandem zu gefallen.»
Ausstellung in Paris
Kutis Söhne Femi und Seun sowie sein Enkel Made, der 2022 für seinen ersten Grammy nominiert war, führen die Tradition von Großvater Fela weiter. Im Pariser Musée de la Musique zeigt derzeit die Ausstellung «Fela Anikulapo-Kuti: Rébellion Afrobeats» Kuti als vielschichtige Persönlichkeit und gibt Einblicke in sein Denken und Wirken.
So sind etliche Konzertankündigungen zu sehen, in denen Kuti die Politik der nigerianischen Regierung kritisiert – nur um quasi nebenbei seinen nächsten Gig bekannt zu geben. In einem ausgestrahlten Video sagt er selbst über sein Verständnis von Musik: «Bezogen auf Afrika kann Musik kein Vergnügen sein. Musik muss für die Revolution sein.»
Mit kleinen thematischen Schwerpunkten und zwei bühnenartigen Konzertecken, die Auftritte von Kuti wiederaufleben lassen, lädt die Ausstellung zum Verweilen ein und auch, sich vermeintlich leichteren Themen zu widmen – etwa der Frage, warum Kuti so gerne nur im Slip herumlief oder was seine schillernd-bunten Bühnenoutfits bedeuteten. Wer genau hinschaut, wird aber feststellen, dass auch diese vermeintlich leichten Themen eine politische Note haben.