Dieses Gesicht, immer wieder dieses Gesicht. Liv Ullmanns großes Gegenüber, der schwedische Regisseur Ingmar Bergman, hat es wieder und wieder gefilmt.
Kein Wunder, dass der Regisseur Georg Maas seinen Dokumentarfilm über sie vor zehn Jahren «Liv Ullmann – Eine Nahaufnahme» nannte. Ullmanns Lachfalten sind inzwischen noch ein wenig tiefer geworden. An diesem Samstag (16.12.) wird sie 85 Jahre alt.
Dass sie einmal zu einer Ikone der Frauenbewegung werden würde, ist Ullmann nicht in die Wiege gelegt worden. Als sie 1938 in Tokio zur Welt kommt, wo ihr Vater als Luftfahrtingenieur arbeitet, habe die Krankenschwester den Eltern eröffnet: «Ich fürchte, es ist ein Mädchen», so erzählt es Ullmann. Die Familie kommt trotz des Krieges viel in der Welt herum, bis der Vater 1945 stirbt. Danach geht es zurück nach Norwegen.
Ullmann kommt in der Nähe von Trondheim zur Schule, ist schüchtern, aber davon überzeugt, Schauspielerin zu werden. Fromme Verwandte finden das gar nicht gut. Als sie nach der Theaterschule in London am Norwegischen Staatstheater vorspricht, wird sie abgelehnt und geht in die Provinz. Dort, in Stavanger, erhält Ullmann die Rolle der Anne Frank und macht daraus ihren ersten großen Erfolg. Prompt wird sie daraufhin auch in Oslo engagiert, spielt Shakespeare, Ibsen und Tschechow – und kommt zum Film.
Erste Begegnung mit Bergman
Über ihre erste Begegnung mit Bergman hat sie oft berichtet, unter anderem in dem Dokumentarfilm «Liv & Ingmar». Der 20 Jahre ältere Regisseur habe sie mit ihrer Freundin Bibi Andersson auf der Straße getroffen, sich plötzlich zu ihr umgedreht und gefragt: «Würdest Du in einem meiner Filme mitspielen?»
Das Drehbuch für «Persona» habe Bergman im Krankenhaus geschrieben. Es wird der erste von schließlich zehn gemeinsamen Filmen, von denen viele als Meisterwerke gelten, darunter «Schreien und Flüstern» und vor allem «Szenen einer Ehe».
Die Schauspielerin und der Regisseur werden ein Paar, 1966 kommt die gemeinsame Tochter Linn zur Welt. Bergman hat Ullmann einmal seine Stradivari genannt. Bei den Dreharbeiten für den Film «Passion» kündigt er 1969 an, die längste Großaufnahme von ihr zu drehen, die er je gemacht habe. Sie habe diese Szene einer die Fassung verlierenden Frau so intensiv gespielt, dass sie ihr Gesicht später auf der Leinwand selbst nicht mehr erkannt habe, sagt Ullmann später.
Doch Bergman ist auch besitzergreifend. Viele Figuren, die sie gespielt habe, seien eigentlich er gewesen, berichtet Ullmann: «Ich war ein Teil im Traum eines anderen.» Nach fünf Jahren verlässt sie Bergman.
Dank des Erfolgs der gemeinsamen Filme reißt sich Hollywood um Ullmann. In den 70er Jahren dreht sie bisweilen drei Filme im Jahr. Zweimal wird sie für den Oscar nominiert, geht aber leer aus.
Wechsel hinter die Kamera
Nachdem Bergman ihr zugeraten hat, übernimmt Ullmann Anfang der 90er Jahre die Regie für den dänischen Film «Sophie», für den sie schon das Drehbuch verfasst hat. Sie habe geglaubt, alles über die von ihr geschaffene Hauptfigur zu wissen und sie auch am besten spielen zu können, berichtet Ullmann in diesem Frühjahr, als in Cannes die Dokumentarserie «A Road Less Travelled« über sie vorgestellt wird. Doch dann habe sie Nahaufnahmen von Hauptdarstellerin Karen-Lise Mynster gemacht. «Als ich sie sah – als ich ihr Gesicht sah – war ich hin und weg. Ich hätte nie daran gedacht, genau das zu tun, was sie getan hat», gesteht Ullmann.
Seither arbeitet Ullmann sowohl vor als auch hinter der Kamera. Mit Bergman bleibt sie bis zum Schluss in Kontakt. «Erst als alles vorbei war, wurden wir echte Freunde», erzählt sie. Ullmann arbeitet weiter mit ihm, zuletzt im Fernsehfilm «Sarabande» von 2003 – Bergmans letztem Werk vor seinem Tod 2007.
Vor allem in Europa gilt Ullmann bis heute häufig als die Frau, die unter Bergman spielte oder als die Muse des Meisters. «Ich bin durch die Welt gereist und ich habe viel gemacht, ohne Ingmar», konstatiert sie, darunter seien Dinge, die Bergman selbst gern gemacht, jedoch nie umgesetzt habe. «Aber am Ende reden wir doch immer über Ingmar.» Das finde sie manchmal ein bisschen traurig.
Als Ullmann 2022 den Oscar für ihr Lebenswerk erhält, sagt ihr Kollege John Lightgow: «Denjenigen, die behaupten, dass sie ohne Ingmar Bergman keine der größten Schauspielern der Welt geworden wäre, möchte ich antworten, dass Ingmar Bergman ohne Liv Ullmann wahrscheinlich nicht als einer der größten Filmemacher gelten würde.»