Wenn Henry Valentino zu Henry Valentino werden wollte, machte er es wie ein Polizist oder Schaffner – er zog Arbeitskleidung an. Dann pappte er sich einen prächtigen Schnäuzer an und setzte sich einen Hut auf. Es war eine Verwandlung, die ihn befähigte, die Zeile zu krächzen, die ihn berühmt machten: «Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen.»
So wird man ihn auch in Erinnerung behalten. Denn Henry Valentino ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Das teilte seine Plattenfirma der Deutschen Presse-Agentur mit. «Ein langes, von Glück und beeindruckender Schaffenskraft geprägtes Leben ist zu Ende gegangen», erklärte seine Familie.
Dass Henry Valentino ein Schlagersänger war, der mit Maskerade und verstellter Stimme auf die Bühne stieg, hatte einen einfachen Grund: Er war eine Kunstfigur. Bürgerlich hieß er Hans Blum und war im Hauptberuf Komponist. Als er aber Mitte der 70er sein Lied «Ich hab‘ dein Knie geseh’n» nicht so recht bei einer Plattenfirma unterbringen konnte, entschied er, eben selbst zum Schlagerstar zu werden. Unbedingt berühmt werden wollte er eigentlich nicht, wie er später immer erzählte – und wurde es doch. Ausgerechnet in einer Rolle, über die man heute wohl kurz die Stirn runzeln würde.
Denn «Im Wagen vor mir», das er Ende der 70er-Jahre mit seiner Duett-Partnerin Uschi einsang, hatte es in sich. Zum einen war und ist das Lied ein unglaublicher Ohrwurm («Rada rada radadadada, rada rada radadadada»). Zum anderen kann man ihm aus heutiger Sicht eine gewisse Klebrigkeit nicht absprechen. Uschi war darin ein «schönes Mädchen», dem ein älterer Herr im Auto auf die Pelle rückte – und kaum an sich halten konnte («So weiches Haar!»). Die Geschichte endete damit, dass sich Uschi hinter Hecken versteckte, um den Mann im Rückspiegel loszuwerden. Die Melodie aber machte direkt gute Laune.
Eine lange und glückliche Ehe
Wenn man Hans Blum zu Hause in Overath bei Köln traf, musste man allerdings schnell alle Ableitungen aus dem Text und Meta-Gedanken zu MeToo über Bord werfen. Dann traf man nämlich auf einen sehr höflichen, sehr herzlichen und fast schon leisen Mann, der obendrein auch noch eine Muster-Ehe mit seiner Frau Ingetraut führte. Die beiden hatten sich lieben gelernt, als sie in den 50er-Jahren beide Teil des sogenannten Hansen-Quartetts waren. 1956 schlossen sie eine Ehe, die bis ins allerhöchste Alter hielt.
«Unter Kollegen wird nichts angefangen!», das sei eine Maxime seiner Karriere gewesen, betonte Blum mal zu seinem 90. Geburtstag. Den Grundsatz brach er gleichwohl einmal – für seine Ingetraut. Die lange und glückliche Ehe sei die «Quelle seiner schier unglaublichen Lebens- und Arbeitsenergie» gewesen, berichtet seine Familie. Das Paar pflegte einen ungemein liebevollen Umgang miteinander. Ingetraut starb einige Jahre vor ihrem Mann. Er habe seine Frau in diese Zeit «so sehr» vermisst, so die Familie. Aus der Ehe gingen drei Kinder und fünf Enkel hervor.
Blums Haus in Overath hatte alles, was er für seine Arbeit brauchte. Eine E-Mail-Adresse hatte er zwar nicht, dafür aber eines dieser dunkelgrünen Telefone aus der alten Bundesrepublik und einen erstaunlich großen Anrufbeantworter – es war eines der ersten Modelle. Sein natürlicher Arbeitsplatz war jedoch sein großer Flügel. Das Instrument schien ihn magnetisch anzuziehen. «Daran ist alles entstanden», sagte er dann. Dieses «alles» – das war nicht nur Henry Valentino. Der Grundstein für Blums Karriere – gebürtig kam er aus Hannover – war noch in den letzten Kriegsjahren auf der Heeresmusikschule gelegt worden, Hauptinstrument war Kontrabass.
Zahlreiche Hits komponiert
Die Liste der Schlagersänger, für die er im Hintergrund Hits schrieb, war nahezu endlos. Nur eine kleine Auswahl: «Das schöne Mädchen von Seite eins» von Howard Carpendale, «Beiß nicht gleich in jeden Apfel» von Wencke Myhre, «Zucker im Kaffee» von Erik Silvester, «Der alte Wolf» von Hildegard Knef und «El Lute» von Boney M. Auch beim Grand Prix Eurovision de la Chanson gingen mehrmals Lieder von ihm ins Rennen.
Ganz losgelassen hat Blum sein Dasein als Henry Valentino zugegebenermaßen zeitlebens nie. Seine Arbeitskleidung hatte er auch im hohen Alter noch im Schrank. Ingetraut hatte den falschen Bart vorsichtshalber mal aufgehoben. Man weiß ja nie.