Streitbare Kultfigur des Indie-Rock: Morrissey wird 65
Der britische Sänger und ehemalige Smiths-Frontmann Morrissey wird 65. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robin Burns/ZUMA Press Wire/dpa)

Dieses Jahr begann für Morrissey mit schlechten Nachrichten. Nicht zum ersten Mal musste der britische Sänger aus gesundheitlichen Gründen Konzerte absagen. Wegen «körperlicher Erschöpfung» hätten ihm die Ärzte verordnet, sich zwei Wochen unter medizinischer Beobachtung auszuruhen, ließ er im Januar bei Instagram mitteilen. Mehrere Auftritte in den USA und in Südamerika, wo er eine leidenschaftliche Fangemeinde hat, wurden daraufhin ersatzlos gestrichen.

Vor wenigen Wochen kündigte Morrissey nun auf seiner Website zwei «besondere Konzerte» an und weckte bei seinen Fans Hoffnungen. Konkrete Termine dafür nannte er bislang allerdings nicht. Vor seinem 65. Geburtstag am 22. Mai gibt es viele Fragezeichen um den ehemaligen Smiths-Frontmann, der immer wieder für Kontroversen sorgt.

Kult-Band The Smiths

Steven Patrick Morrissey, 1959 als Sohn irischer Einwanderer im Großraum Manchester zur Welt gekommen, sorgte als Sänger der einflussreichen Indie-Band in den 1980ern für Furore. Vier Alben in vier Jahren veröffentlichten The Smiths: «The Smiths» (1984), «Meat Is Murder» (1985), «The Queen Is Dead» (1986) und «Strangeways, Here We Come» (1987). Alle gelten heute als Klassiker und zeichnen sich durch ihren zeitlosen Sound und eine gewisse Melancholie aus.

Die Songs schrieb Morrissey mit seinem kongenialen Partner, dem Gitarristen Johnny Marr. Bassist Andy Rourke und Schlagzeuger Mike Joyce komplettierten die Band. In Liedern wie «This Charming Man», «How Soon Is Now?» oder «Bigmouth Strikes Again» behandelten die Smiths häufig sozialkritische Themen und gesellschaftliche Tabus. Dabei kultivierte Morrissey das Bild eines sexuell ambivalenten und zynischen Außenseiters. Seitdem wird Mozzer, wie ihn seine Fans nennen, von vielen kultisch verehrt.

Erfolgreiche Solo-Karriere

Sein sanfter Bariton-Gesang stand auch bei seiner anschließenden Solokarriere im Kontrast zu den sarkastischen, geistreichen Texten. Wegen interner Streitereien lösten sich die Smiths 1987 auf. Es folgte ein bitterer, von der britischen Boulevardpresse begleiteter Rechtsstreit über die Verteilung der Tantiemen. Morrissey äußerte sich danach abfällig über Rourke und Joyce. Ohne ihn wären sie nur in einem Einkaufszentrum aufgetreten, sagte er über seine Ex-Kollegen. Diese Arroganz wird dem Frontmann bis heute nachgesagt.

Nach der Auflösung der Band startete er seine Solokarriere, die genauso erfolgreich verlief. Mit Alben wie «Viva Hate» und «You Are The Quarry» bestätigte er seinen Ruf als genialer – und streitbarer – Songwriter und Sänger. Zu seinen Klassikern zählt der Song «Irish Blood, English Heart». Darin befasst er sich mit seiner Kindheit als Sohn irischer Einwanderer im England der Thatcher-Ära. Er schimpft über die Konservativen, die Labour-Partei und die britische Königsfamilie.

Militanter Veganer – und Ruf als Grantler

Ein Thema, dass Morrissey besonders am Herzen liegt, sind die Rechte von Tieren. Der militante Veganer wettert regelmäßig gegen die Fleisch- und Milchproduktindustrie. Bei seinen Konzerten zeigt er drastische Videos, um Tierquälerei zu dokumentieren. Und in seinem Song «The Bullfighter Dies» singt er: «Der Stierkämpfer stirbt und niemand weint. Denn wir alle wollen, dass der Stier überlebt. (…) Hurra, hurra, der Stierkämpfer stirbt.»

Morrissey ist berühmt und berüchtigt dafür, seine Meinung offen und deutlich zu äußern. Häufig sind umstrittene Aussagen zu Politik, Kultur und Gesellschaft von ihm Gegenstand medialer Diskussionen. Mit seinen Kommentaren stellte er nicht selten seine Fans auf die Probe. Zuletzt wirkte er immer häufiger wie ein Grantler und sah sich sogar mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert. Einige Künstler gingen daraufhin auf Distanz zu ihm.

Mit seinem früheren Bandkollegen Marr liefert er sich gelegentlich öffentliche Scharmützel. Nachdem der Gitarrist 2022 in einem Interview erzählt hatte, Morrissey und er stünden sich nicht sehr nahe, forderte ihn der Sänger in einem offenen Brief auf, ihn in Interviews nicht mehr zu erwähnen.

«Ein erbärmlich bescheidener Mensch»

Vor einigen Monaten beklagte Morrissey, britische Medien hätten ihn aus «der Geschichte und dem Wesen der Smiths gelöscht», er sei ein Opfer von Cancel Culture. «Das ist ein bisschen so, als würde man behaupten, Mick Jagger hatte nichts mit den Rolling Stones zu tun», schrieb er auf seiner Website und hob – typisch Morrissey – sein Wirken hervor. «Ich habe den Bandnamen erfunden, die Songtitel, die Albumtitel, das Artwork, die Gesangsmelodien – und alle lyrischen Gefühle stammen aus meinem Herzen.»

Als er im vergangenen Oktober im Rahmen seiner «40 Jahre Morrissey»-Tournee vier Konzerte in New York City spielte, gab er dem TV-Sender Fox 5 ein ausführliches Interview. Darin äußerte sich der Sänger, der teilweise in Los Angeles lebt, erstaunt über seine lange Karriere. «Ich dachte am Anfang wirklich, das ginge nur ein Jahr. Und ich habe damals gesagt, ich wäre sehr glücklich, auch wenn es nur ein Jahr dauern würde», sagte Morrissey. Dann überraschte er mit seiner Selbsteinschätzung: «Ich bin ein erbärmlich bescheidener Mensch.»

Von Philip Dethlefs, dpa